Verblüffend. Winterthurs Rapszene Teil IV

Rap wird – je nach Alter – unterschiedlich definiert. Für den vierten Teil der Serie treffe ich mich mit zwei Winterthurer Künstlern, die 15 Jahre trennen: Meyd und Akindo. Im Gespräch erzählen die beiden, wie sie Hip-Hop für sich entdeckt haben und wie sie sich damit identifizieren. Sie sprechen über Old und New School, «neue» Technologien und «alte» Hip-Hop-Kultur, überraschende Gemeinsamkeiten und grundlegende Unterschiede.

Ein Genre, zwei Stile

An einem regnerischen Sonntagmorgen in der Steibi treffe ich mich in meiner Wohnung mit Meyd und Akindo, zwei Winterthurer Künstlern, die in unterschiedlichen Generationen gross geworden sind. Beide treffen fast gleichzeitig ein und machen es sich in meiner Stube bei einem Kaffee gemütlich.

«Bezeichnest du dich eigentlich als Rapper?», starte ich das Gespräch und schaue zum Jüngeren der beiden. Der 17-jährige Luca Binelli aka Akindo schüttelt den Kopf. «Nein, Rapper würde ich mich nicht nennen. Wenn ich meine Musik Personen zeigen würde, die Rap gut kennen, dann würde das niemand in erster Linie Rap nennen. Es spielt mir für mich aber auch keine Rolle, ich möchte einfach Musik machen.» – «Also machst du überhaupt keinen Rap?», frage ich erstaunt. Er lacht und sagt: «Doch, ich würde mich trotzdem diesem Genre zuordnen. Aber es ist eher New School. Meine Musik lässt sich nicht mit der alten Hip-Hop-Kultur vergleichen.»

Mathias Läderach aka Meyd, schmunzelt. Der 31-Jährige, der sich selbst klar als Rapper versteht, nimmt das Handy hervor und meint: «Ich muss mir deine Musik mal eben kurz reinziehen». Er spielt Akindos Song «Alive» aus der im Februar 2021 erschienen EP «Melodia» ab und Akindo lacht verlegen. «Es ist mir immer unangenehm, danebenzusitzen, wenn jemand meine Musik hört», sagt er. Anschliessend spielt Meyd etwas aus seinem eigenen Repertoire vor, einen Track mit der Crew Eigänabou. Akindo hört aufmerksam zu und nickt zum Beat.

Schnell ist klar, die Stile der beiden sind völlig verschieden. Während Akindos Tracks sehr melodisch klingen, mit Auto-Tune versehen sind und sich fast schon ein bisschen futuristisch anhören, sind die Songs von Meyd mit viel Text und Rhymes versehen. «Ich glaube, heute ist Rap grösstenteils nicht mehr ganz so textlastig wie früher. Es geht vielmehr darum, einen Vibe, ein Gefühl zu vermitteln», schätzt Meyd den Rap ein, den die jüngere Generation macht, der Akindo angehört.

Dieser nickt und erklärt: «Ich packe nicht wahnsinnig viele Emotionen in meine Texte, sondern eher in alles drum herum. Dabei ist ein Song für mich nicht unbedingt eine Plattform, um Gefühle zu zeigen, sondern ganz einfach dafür da, um mich in meiner Musik auszuleben.» Deswegen sei es aber trotzdem Rap, da sind sich beide einig.

Es sei generell ein neuer Stil entstanden, mit viel Auto-Tune, also technisch bearbeiteten Stimmen, und verschwommenen Grenzen zwischen Genres. Dazu gehöre zum Beispiel auch «Cloud Rap», welcher mit sphärischen Synthesizer-Klängen spielt und wenig Fokus auf den Text legt. Akindos Musik ähnelt eher dieser Stilrichtung. Er meint dazu: «Ich identifiziere mich einfach nicht mit der klassischen Hip-Hop-Kultur, die allgemein mit dem Genre assoziiert wird.» Er denke, man habe von Rap eine sehr klare Vorstellung und da passe seine Musik nicht ganz hin. «Ich bin durch Rap zum Musikmachen gekommen und höre auch heute immer noch Rap von früher. Auch Winterthurer Rapper, beispielsweise Pedro. Seinen neuen Track ‹Rhythmus› finde ich richtig krass, den höre ich die ganze Zeit.»

Meyd gehört zu dieser «früheren» Generation, in der auch allesbollet oder Phumaso & Smack zuhause sind – im klassischen Rap, wie man ihn kennt. Als Teil der Crew Eigänabou hat er zwar schon einzelne Solo-Tracks herausgebracht, aber noch nie ein Solo-Album oder eine EP. Nichtsdestotrotz ist er auf einigen Features zu hören, beispielsweise von WiiTundBreit oder Pedro. Er ist in der Szene gut vernetzt und erzählt von verschiedenen Features, Konzerten und Parties, an welchen er mitgewirkt hat und die den Winterthurer Rap geprägt haben. Der Song «Vitudurum United», auf welchem diverse Winterthurer Künstler, unter anderem auch Krysl, vertreten sind, war eines seiner Projekte.

«Das Solo-Ding, das kommt vielleicht noch», sagt Meyd und zwinkert vielversprechend. Auch Akindo kennt sich in der Szene der Stadt ein bisschen aus, hat doch sein älterer Bruder Elia zusammen mit einem Freund für die Maturarbeit das mittlerweile schweizweit bekannte Hip-Hop Magazin «Lyrics» gegründet. So kam Akindo unter anderem auch in Kontakt mit anderen Künstler*innen aus Winterthur. «Meinen ersten Song durfte ich bei Perino im Studio aufnehmen», erzählt er. «Das war richtig cool!» Der schweiz- und deutschlandweit bekannte Producer Perino hat einige Outputs mit bekannten Rapper*innen zu verzeichnen, wie zum Beispiel mit Mimiks oder Phumaso & Smack aus der Schweiz oder mit dem Deutschen Rapper Mo-Trip.

Natürlich sei es heute einfacher, eigene Musik zu machen und dann ins Netz zu stellen, keine Frage, das sagen beide. «Auch die Qualität ist viel besser», sagt Meyd und wendet sich mit einem Kompliment an Akindo: «Deine Musik hört sich super an, sehr rund und auch gut gemastert! Früher war es schwierig, gute Qualität in Eigenregie zu machen, und vor allem war es viel teurer, als wir noch Platten und CDs pressen mussten.»

 

CDs vs Klicks

Ich möchte von Meyd wissen, was ihm von seiner Anfangszeit im Rap um die Jahrhundertwende in Erinnerung geblieben ist. «Wir haben hauptsächlich Freestyle gemacht und vielleicht mal auf einer Kassette etwas gemischt. Wenn wir mit anderen Rapper*innen connecten wollten, mussten wir in die Stadt, um diese Leute zu treffen. Das war halt jedes Mal ein Aufwand!»

Ich schaue Akindo an. Der hat erstaunt die Augenbrauen hochgezogen und schmunzelt. «Wie ist das bei dir so?», frage ich ihn. Er lacht und zuckt mit den Schultern. «Völlig anders. Alles geschieht online: die Connections, das Hochladen von Songs auf Clouds, das Kennenlernen von neuen Künstler*innen.» Er finde es «krass», dass man sich früher nur persönlich treffen und austauschen konnte. «Über Social Media oder Spotify kann man heute mega easy eigene Musik hochladen oder Musik konsumieren.»

Akindo hat mit 15, also vor zwei Jahren, seinen ersten Song gemacht. «Der Song war eigentlich meine Abschlussarbeit in der Sek. Ich hatte schon immer ein bisschen Rap-Texte geschrieben, also habe ich mich entschieden, einen ersten Track als Projekt zu machen. Der Song war nicht wahnsinnig gut, viel zu hohe Töne, viel zu viele Schwankungen. Ich habe ihn dann trotzdem auf mein Instagram-Profil mit 100 Abonnenten geladen, um es halt mal zu zeigen. Mein Umfeld hat es dann repostet und so hat sich der Song plötzlich verbreitet, das ging mega schnell. Du teilst mit einem einzigen Klick etwas in deiner Story oder deiner Playlist – und schon sehen es hunderte Leute mehr.»

Dieses «spreaden» von Musik funktionierte früher ganz anders: «Wir haben CDs verteilt», sagt Meyd und zuckt mit den Schultern. «Natürlich konnten wir unsere Musik auch bereits auf YouTube hochladen, aber da hat man sie ja nicht auf diese Weise mit anderen Leuten teilen können. Also hat man persönlich Platten verteilt und sich darauf verlassen, dass die Leute dann zuhause reinhören und weitererzählen, wie gut du bist.» Auch heute noch produzieren viele Künstler*innen CDs – aber weshalb eigentlich, wenn doch alles übers Internet verfügbar ist?

Ich frage Meyd, warum überhaupt noch CDs herausgegeben werden. «Ich glaube, das hat ein bisschen mit Nostalgie zu tun», meint Meyd nachdenklich. «Ich persönlich bin ein Sammel-Freak, ich kaufe mir CDs, obwohl ich mir die Musik über Spotify anhöre. Es ist halt etwas, was du in den Händen hältst, ein reales Produkt.» – «Hast du auch noch CDs zuhause?», frage ich Akindo. «Nein. Mein Grossvater hatte allerdings einen Plattenspieler, so ein richtig altes Ding. Mit meinen Geschwistern habe ich manchmal Platten gekauft.» Meyd stimmt zu: «Schallplatten sind noch immer extrem beliebt, viel mehr als CDs. Es ist ein Stück Geschichte, es hat Charme.» Genauso wie Kassetten. Aber das sei dann schon richtig «alt», auch da sind sich beide einig.

 

 

 

Überraschend ähnlich

«Bligg war früher ein grosses Vorbild für mich», erzählt Akindo. Auch ich erinnere mich an die Zeit zurück, als ich den Zürcher Rapper entdeckt hatte, das war so um 2002 herum. Allerdings sind die Alben, an die ich mich erinnere, mindestens sechs Jahre jünger als jene, die Akindo jetzt nennt: «Die Alben ‹0816› (2008) oder ‹Bart aber herzlich› (2010) waren meine Favoriten. Ich höre heute noch gerne rein. Später kam Mimiks und dann habe ich überall ein bisschen reingehört.» Das sei alles aber gar noch nicht so lange her, sagt er lachend.

«Ich bin überrascht, dass du als Antwort überhaupt Schweizer Rapper nennst. Das hätte ich nicht gedacht», sagt Meyd erstaunt. Was denn seine Vorbilder waren, frage ich ihn. «Ich könnte wahrscheinlich auch Bligg sagen, vor allem aber aus seiner Zeit mit Lexx. Andere Künstler waren mir aber wichtiger. Ich habe zum Beispiel Eminem oder Samy Deluxe gehört, auch das habe ich gefeiert. Noch immer ein Vorbild ist heute der Rapper Tua aus Deutschland.»

Deutschsprachigen Rap hören beide. «RAF Camora», sagen beide fast gleichzeitig, schauen sich überrascht an und lachen. Sein erstes Album kam 2009 raus, sein letztes erst diesen Frühling. Akindo meint: «Camoras Anfänge sind völlig anders als seine neuste Musik. Einerseits war es Hip-Hop in der klassischsten Form, andererseits ging er mit der Zeit mit und macht heute sehr viel mit Synthesizern und Melodien.» Meyd äussert sich dazu etwas kritischer: «Heute hören sich all seine Lieder gleich an. Er hat aber einen Riesenerfolg damit und so ein Rezept gefunden, das für ihn passt. Das respektiere ich.»

Während die beiden weiter von Künstler*innen reden, die sie gut finden, fällt mir auf, dass beide die gleichen Namen kennen: J. Cole, Joyner Lucas, Kendrick Lamar, Megaloh. Ich hätte erwartet, dass der 17-Jährige über Künstler*innen sprechen würde, bei welchen Meyd und ich als Ü30 nur die Stirn runzeln würden. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die beiden verfallen in ein Gespräch über aktuelle Musik, und mir bleibt nichts anderes übrig als ruhig zuzuhören.

Die Wörter «alt» und «neu» fallen oft. «Die Definition von ‹alt› ist wohl grundverschieden bei euch beiden», wage ich einzuwerfen. Sie nicken und Meyd meint: «Wenn Akindo den Track ‹Fühle nüt› von Fratelli-B ‹alt› nennt, dann meint er damit das Jahr 2015. Da war ich schon 26!» Und Akindo fügt an: «Für mich ist zum Beispiel Bliggs Track ‹Back in the Days› alt, aber da rappt er ja schon über die früheren Zeiten, womit er wahrscheinlich den Anfang eurer Zeiten meint!»

 

Die Inspirationsquelle

«Musik machen, um runterzukommen, das mache ich schon auch, aber eher selten», sagt Akindo. «Es inspiriert mich mehr, neue Songs anderer Künstler*innen zu hören und ich denke mir dann: Ich muss auch wieder was rausbringen!» – «Also hat es ein bisschen mit Competition zu tun, oder?», fragt Meyd. Der 17-Jährige lacht und gibt zu: «Ja, vielleicht ein bisschen. Habe ich mir so gar noch nicht überlegt!»

Für Meyd ist das instrumentale Arrangement die Ausgangslage für einen Song. «Auf das, was der Beat bei mir auslöst, kann ich dann mit dem Schreiben von Texten reagieren. Natürlich sind es auch andere Künstler*innen, die mich inspirieren. Und es fühlt sich schliesslich auch gut an, einen Track rauszubringen. Schlussendlich kann einen alles inspirieren, ein Satz, ein Gefühl.» Für ihn sei Rap eine Kunstform, eine Ausdrucksform. «Es ist Poesie. Manchmal schon fast wie ein Gedicht, manchmal labert man auch einfach irgendwas. Aber es ist definitiv eine Art, sich auszudrücken.»

Als ich Akindo frage, was Rap für ihn bedeute, antwortet er eher vorsichtig. «Ich identifiziere mich eigentlich nicht mehr mit dem klassischen Rap.» Meyd wirft ein: «Ich verstehe das nicht ganz: Du machst Rap, aber du distanzierst dich gleichzeitig davon. Warum?» Akindo wirkt etwas verlegen. Dann erklärt er: «Ich will mich nicht davon distanzieren, aber ich habe das Gefühl, ich muss. Ich weiss, dass meine Musik nichts mit dem klassischen Hip-Hop zu tun hat. Ich darf mich gar nicht als Rapper bezeichnen, das wäre fast schon beleidigend für Rapper wie dich. Da sage ich lieber: Okay, ich mache keinen Rap, sondern einfach Musik, die sich im Rap-Genre einordnet.» Die Interpretation von Rap sei für jede*n grundverschieden, aber die Hip-Hop Kultur habe einfach einen gewissen Wert, den man nicht ändern könne.

 

Während ich mir einen neuen Kaffee hole, beginnen die beiden erneut ein Gespräch über Rap in all seinen Varianten, über ihre und andere Musik. Ich beobachte die beiden ein bisschen und muss schmunzeln. Ich hätte nicht erwartet, dass sie trotz so grosser Unterschiede auch so viele Gemeinsamkeiten haben würden. Es zeigt, wie Rap Generationen verbindet. Diese Kultur, von der sich Akindo bescheiden distanziert, kommt für mich hier zum Vorschein. Eine Kultur, in der man Menschen zusammenbringt, wo ganz junge Leute auf alte Hasen treffen und sich trotzdem verbunden fühlen, wo die gleiche Leidenschaft brennt. Ich stelle keine Fragen mehr, sondern lasse die beiden sich austauschen über ihre Erfahrungen, die neusten Trends von heute, über Oldschool-Rap und Inspiration. Schön.

 

 

Zusatzinfos

30 Jahre Schweizer Mundart-Rap


Welche Winterthurer Rapper*innen haben in den letzten Jahren den Schweizer Mundart-Rap geprägt und wie? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Toja Rauch in ihrer Artikel-Serie zur Winterthurer Rapszene.

 

 

Toja Rauch ist Stürmerin bei den FC Winterthur Frauen, angehende Linguistin und liebt Rap in all seinen Formen und Sprachen.

 

 

 

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