Der zweite Tag der Musikfestwochen. Der zweite Tag der fünften Jahreszeit Winterthurs. Gestern haben wir über den Rychenbergpark berichtet, heute dreht sich alles um den Büelpark. Büel-«Park» zu schreiben fühlt sich irgendwie seltsam an, denn wer hat zuvor diese Wiese, die den Hang bei der Stadtgärtnerei überdeckt als Park wahrgenommen? Nun, zurzeit ist es einer, das ist klar, und nicht nur irgendeiner, sondern einer, der das Privileg geniesst, ein Musikfestwochen-Konzertpark zu sein. Da er einer von zweien ist, werden sich manche wohl die Frage stellen: Wie unterscheidet er sich vom Rychenbergpark? Nun, die Konzertwiese des Rychenbergpark wirkt insgesamt abgeschlossener. Er ist umringt von Buden. Die Wege, die an seinem Rand entlangführen, und die buschigen Ecken verleihen ihm einen heimligen, verwinkelten Charakter. Ganz anders ist die Topologie im Büelpark: Hier erwartet euch eine einzige grosse, abfallende Wiese. Alles ist überschaubar. Und auch die klare Form der Bühne, die ein klassischer Kasten ist, passen zum Charakter der Büelpark-Topologie. Die Beleuchtung ist hier um einen zentralen Baum herum organisiert, so dass die Lichterketten abends die Fläche der Konzertwiese in Szene setzt – ganz anders als im Rychenbergpark, wo die Lichterketten auf die Bühne zulaufen. Resümierend könnte man sagen: Die Topologie im Rychenbergpark ist dynamischer, während viele kleine Scheinwerfer die verwinkelten Wege, die die langgezogene Konzertwiese umringen, atmosphärisch aufladen, lenken die Lichterketten in der Luft den Fokus auf die extravagante Zelt-Bühne; die Topologie im Büelpark ist konzentrischer, die Lichterketten sind auf den zentralgelegenen Baum ausgerichtet, betonen die Breite der Konzertwiese und die Kasten-Bühne wirkt relativ nüchtern. Kurz, im Rychenbergpark lenkt die Topologie die Aufmerksamkeit auf die Bühne, im Büelpark betont sie eher die Konzertwiese. Diese ist allerdings ein deutlicher Pluspunkt für den Büelpark. Hier hat man Platz. Und da die Wiese abfallend ist und unten an ihrem Ende die Bühne steht, kann man es sich noch am oberen Rand der Wiese gemütlich machen und das Konzert geniessen. Von hier aus kann man auch in die Ferne schauen, man sieht bis zur KVA, so dass man hier stets weiss, dass man noch in Winterthur ist – anders als im Rychenbergpark. Dieser wirkt eher wie die Lichtung eines Waldes, in den man sich verirrt hat, ein Ort, an dem man plötzlich fern ab der Stadt ist. Für die Wiese im Büelpark würde ich empfehlen, ein Tuch oder eine Decke mitzunehmen, um sich nach Lust, Laune und Pegel darauf setzen zu können. Es lohnt sich. Rumlungernd, aus gemütlicher Entfernung heraus auf die Bühne blickend – so hat man die Musikfestwochen noch nie erlebt. Es fühlt sich beinahe an, als hätte man eines der Festivals an den Rändern Winterthurs – Bambole, Eidberger – in die Mitte der Stadt verlegt. Aber nur fast. Leute, die scheinbar spontan irgendwann spät abends anfangen Feuer zu spucken oder mit brennenden Stäben zu jonglieren, begegnet man hier nicht. Und so lange zu verweilen, bis man vielleicht noch selbst auf die Idee kommt, so etwas zu wagen, das kann man natürlich gar nicht. Den Ort muss man den Anwohner*innen zuliebe bald nach dem letzten Konzert verlassen – so hat man die Musikfestwochen auch noch nie erlebt. Die Reglung ist absolut verständlich – ist aber halt trotzdem schade.
Aber genug von der Topologie, zur Musik. Gestern haben Mnevis und Dachs das Publikum mit ihrem Pop unterhalten. In den Pausen erzählten sie aus ihrem Privatleben, über schwierige Zeiten und andere Musiker*innen. In ihren Songs wechselten sich funkige, rockige und Indie-Parts ab. Das brachte viele zum Schunkeln. Und bei den Leuten vor der Bühne machte sich das allbekannte Problem bemerkbar: Wenn ich nicht tanze, wohin soll ich dann mit meinen Händen? Die klassischen Verlegensheitshaltungen machten sich bemerkbar. Es gibt einen ganzen Strauss von ihnen. Es gibt zum Beispiel diejenigen, die beim Mitwippen einfach beide Arme hängen lassen; diejenigen, die einen Arm hängen lassen, während der andere diesen am Ellbogen festhält; diejenigen, die die Arme vor der Brust, hinter der Hüfte, vor der Hüfte oder hinterm Kopf überkreuzen. Fortgeschrittene gehen einen Schritt weiter und beziehen ihre Hosentaschen ins Mitwippen mit ein: Auch hier gibt es verschiedene Methoden: Da sind die, die einfach ihre Hände in beide Hosentaschen reinstecken, aber auch die, die nur ihre Daumen reinsteckenden – die unverkennbare Geste selbstbewusster «Lässigkeit». Der ultimative Tipp, um das Verlegenheitshaltungsunbehagen aufzulösen, ist natürlich das klassische Bier in der Hand. Mit einem Bier in der Hand sieht man stets beschäftigt aus – die Hände haben wieder einen sinnvollen Zweck zu erfüllen, man kann gelegentlich einen Schluck trinken und, kaum ist der Becher leer, sich ein neues holen. Der Becher (und je nachdem auch dessen Inhalt) ist der Retter aller Verlegenen. Die ganz-ganz einfache Lösung gegen das Verlegenheitshaltungsunbehangen wäre selbstverständlich zu tanzen … aber aiaiai, wer ist denn so wild, tanzen zu Musik? Wo sind wir denn? In Winterthur? Nein, natürlich in der Schweiz – und hier ist es schliesslich kalt, bergig, urchig, calvinistisch. Das ist kein Ort zum Tanzen, seht euch doch bloss mal um! Das ist natürlich zugespitzt. Ein paar haben sich an den Konzerten schon zum Tanzen durchgerungen. Ich natürlich nicht. Ich lag auf der Wiese. Hab Gemüserollen verdrückt und mir Gedanken darüber gemacht, welche Körperhaltungen Leute einnehmen, wenn sie bei Konzerten nicht tanzen. Bis ich von MFW-Ordnungsdienst freundlich aufgefordert wurde, nach Hause zu gehen. So endete der zweite Tag der fünften Jahreszeit.