Wind tanzt in den Vorhängen, Seidengewänder schimmern in gelbem Licht und Körper bewegen sich mit grosser Anmut durch sorgfältig komponierte Tableaus. Mit The Assassin leistet der taiwanesische Altmeister Hou Hsiao-Hisen seinen Beitrag zum Wuxia-Genre, welches seit den 50er Jahren einen Grundpfeiler des chinesischsprachigen Kinos darstellt. In diesen Kampfkunstfilmen ist es üblich, dass ihre Held:innen die Wände hochrennen und durch die Lüfte fliegen. Hous freie Adaption einer alten chinesischen Wuxia-Geschichte unterwandert viele Konventionen des Genres und präsentiert sich als geduldig inszeniertes Drama mit bodenständigen Kampfsequenzen.
Wir befinden uns im China des 8. Jahrhunderts zur Zeit der Tang-Dynastie. Nachdem die junge Attentäterin Nie Yin-Niang einen Auftrag ihrer Meisterin nicht ausführt, wird ihr als Bewährungsprobe aufgetragen, den Herrscher der Provinz Weibo, dem sie einst versprochen war, zu ermorden. So kehrt sie in ihre frühere Heimat zurück und muss sich nicht nur der Mission annehmen, sondern sich auch mit ihrer Vergangenheit und Herkunft auseinandersetzen. Die zunächst simpel erscheinende Handlung entfaltet sich vor einer atemberaubenden Kulisse zu einer tiefen Auseinandersetzung mit der Conditio humana. Erforscht werden Fragen von gesellschaftlichen Zwängen, Pflicht und Menschlichkeit. Dabei erzählt sich der Film hauptsächlich über seine Bilder und über immer wieder erklingende Trommeln, die aus der akustischen Ebene herausstechen. Gesprochen wird selten und meist in leisem Ton. Lange hypnotische Kameraschwenks fangen stille Gestalten ein, bis schnelle Schnitte unerwartet diese Ruhe aufbrechen und schneidende Kampfszenen die Körper in rege Bewegung versetzen. Wie die Figuren tänzeln in The Assassin Stasis und Bewegung rhythmisch mit- und gegeneinander. Während wir gemeinsam mit der Heldin zwischen Vorhängen hindurch blicken – ähnlich der Erfahrung im Kino, wo wir still im Schatten lauernd warten, bis der Vorhang aufschwingt und der Film beginnt –, werden wir auf unsere eigene Seherfahrung zurückgeworfen. Nicht alles ist, wie es scheint. Unsere Sicht ist diffus und vernebelt. Die Beziehungsgeflechte der Figuren werden erst allmählich enthüllt und klare Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen. Nie Yin-Niang entpuppt sich als atypische Martial-Arts-Heldin, die ihren eigenen Moralkodex entwirft und sich gegen die vorherrschende Ordnung und Hierarchie auflehnt, unter deren Zwängen nicht nur sie, sondern von der Bäuerin bis zum Kronprinzen alle Figuren leiden. The Assassin mag durch seine langsame und unaufgeregte Erzählweise nicht für jede*n seine volle Kraft entwickeln. Wer sich aber darauf einlassen kann, erlebt ein Filmerlebnis, welches in Präzision, Rhythmus und Eleganz seinesgleichen sucht.