Die Kamera verwandelt sich in eine Waffe, die Kameraperson in eine Bedrohung. Jean-Gabriel Périots Found-Footage-Film geht der Frage nach, wieso sich eine Gruppe junger Menschen Ende der 1960er-Jahre radikalisierte und später die RAF (Roten Armee Fraktion) begründete. Eine erstaunlich aktuelle Reflexion, da sich die Jugend gerade wieder auf den Strassen versammelt. Damals startete das politische Erwachen für einige in der Filmakademie Berlin (DFFB). Ganz zum Verdruss der Schulleitung widmeten sich die Studierenden nicht dem ökonomischen Film, sondern erlernten das Medium, um zu politisieren. In einem ironisch als «Farbtest» betiteltem Film wird eine rote Fahne mittels Staffellaufs durch Berlin getragen. In einer weiteren Inszenierung rennt Gudrun Enslin mit Gewehr durchs Dickicht und empört sich in die Kamera: «Wir haben die Gewalt nicht erfunden, wir haben sie vorgefunden!» Dem Filmemacher gelingt es, die anbahnende Frustration am lethargischen Fortschreiten der Staatspolitik anhand der Auftritte von Ulrike Meinhof zu verdeutlichen. Die Stimme der RAF-Mitbegründerin klingt von Mal zu Mal ausgebrannter und ihr Blick nebulöser. «Politische Macht komme aus den Gewehrläufen», so Ulrike Meinhof, kurz bevor sich eines der düsteren Kapitel der Linken auftut.
«Une Jeunesse Allemande» kann unter diesem Link geliehen und gestreamt werden: https://vimeo.com/ondemand/unejeunesse
Matthias Sahli studiert Film an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Er hat an den Kurzfilmtagen 2015 mit dem Film «Hausarrest» den Publikumspreis gewonnen.