«Die Musikfestwochen sind schuld an allem», sagt Michael Breitschmid, den die meisten einfach Michi nennen. Der Anfang dieses Gedankens findet sich in einem kleinen Laden namens Music-Box, der einst in der Marktgasse lag. Dort konnte man Platten-, Kassetten- und CD-Kisten durchstöbern. Und das tat der 15 Jahre alte Michi gerade, als er einen Zettel in die Hand gedrückt bekam: «Helfer gesucht». Kurz darauf kleisterte er Plakate für die MFW. Ein Jahr später war er Teil der Stage Crew, dann betreute er Bands, seit 2020 sitzt er im Vorstand. Vom Sog eines Lebens für die Musik erfasst, wurde er auch Vize-Präsident von OnThur, dem Verein, der Albani, Gaswerk, Kraftfeld und Salzhaus verbindet, und Co-Präsident bei Petzi, dem schweizweit aktiven Verband nicht gewinnorientierter Musikclubs und Festivals. Okay, die Einleitung ist ein wenig pompös geraten. Das passt eigentlich gar nicht zu Michi. Er ist nicht dafür bekannt, sich selbst ins Zentrum zu rücken, aber dafür, sich Gedanken über kulturpolitische Themen zu machen. Versuchen wir es also mit einem zweiten Anfang.
«Solange die Einkommen in der Kultur so niedrig bleiben, sind all jene, die in ihr arbeiten, auf günstigen Wohnraum angewiesen», sagt der in Maur beim Greifensee, dann im Tösstaler Saland aufgewachsene 41 Jahre junge Winterthurer. Mit 19 Jahren überlegte er sich nach Berlin zu ziehen, dann aber fand er in der Eulachstadt ein Ventil für seine Unternehmungslust. Hier wanderte er über viele Jahre hinweg von einer WG zur nächsten. Vielleicht war es diese Wohnerfahrung, die sein Bewusstsein dafür stärkte, dass bezahlbarer Wohnraum in den gegenwärtigen Verhältnissen eine zentrale Form der Kulturförderung ist. Vielleicht prägte sie auch seine Haltung: Zusammenarbeit, Zusammenleben und Vernetzung sind für ihn zentrale Themen. Sowohl bei OnThur als auch bei Petzi engagiert er sich, da die beiden Vereine die Vernetzung und den Wissensaustausch in der Kultur fördern. Ausserdem, weil sie es verschiedenen Leuten mit ähnlichen Interessen ermöglichen, en bloc aufzutreten, und so das Selbstbewusstsein der «musique actuelle»-Szene aufbauen. In Winterthur sei dieses Selbstbewusstsein schon vorhanden, allerdings nicht überall gleichermassen: «Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann dass Stadtpolitik und -verwaltung im Grossen so viel Vision und Mut beweisen, wie es die Stadt im Kleinen tut», sagt er. Um diese Tatkraft im Kleinen zu unterstreichen, hätte ich das vorliegende Porträt wohl am besten mit Michis Arbeit im Salzhaus anheben lassen. Sie wäre ein gutes Beispiel für die Tatkraft im Kleinen. Also gut, wagen wir noch einen dritten Anfang.
«Nerv mich nicht, ruf mich nicht an», das denke er manchmal, sagt Michi, wenn er zu Unzeiten vom Salzhaus angerufen werde. Ganz ernst meint er das wohl nicht. Schliesslich sagt er, der diesen Club nun nach 20 Jahren verlässt, auch: «Am meisten wird es mir fehlen, das Team täglich zu sehen.» Er stelle sich schon darauf ein, am Telefon zu sagen «Schön, rufst du an» und sich schliesslich zu fragen «Warum ruft niemand mehr an?» Im November 2004 sprang Michi das erste Mal im Salzhaus als Stagehand ein, am 5. Januar 2005 hatte er seinen ersten Bürotag. Sein damaliger Chef hatte Michi Vertrauen geschenkt: «Du hast im Lee die Mathe-Matur gemacht, dann kannst du auch Buchhaltung.» Später wurde er zum Produktionsleiter und übernahm die Abendverantwortung an Events. Am 1. Mai 2010 – dem ersten Tag, an dem das Rauchverbot in Clubs galt – wurde er Booker, sechs Jahre später wechselte er in die Geschäftsleitung und 2018 wurde er schliesslich Gesellschafter. Immer wieder mit neuen Aufgaben konfrontiert, wurde ihm die Arbeit im Club nie langweilig. «Die intensivste Zeit war diejenige als Booker», meint er. «Als ich 2010 anfing, waren die Finanzen im Keller, das Publikum blieb aus und die Frage ‹Braucht es den Club überhaupt noch?› stand im Raum. Dann aber hat das damalige Team den Turnaround geschafft.» Das damals eingeführte Format «Sommerbar» brachte auf fast schon magische Weise die Motivation zurück. Man legte Kunstrasen aus, baute einen grossen Pool auf und das Büroteam stellten sich hinter die Bar. Mit den Gästen kam die Zuversicht zurück. Und dank Michi wagte das Salzhaus eine neue Booking-Strategie: Höhere Gagen zahlen, um grössere Bands anzulocken, anstatt viele kleine Konzerte zu organisieren. Der Plan ging auf. Trotzdem folgten für Michi herausfordernde Jahre. Es sei nicht immer leicht gewesen, sich vom Job abzugrenzen: «Tagsüber plante ich, abends hatte ich Sitzungen, nachts war ich an den Konzerten oder Events, die ich organisiert hatte. Mein Engagement ist vielleicht ein bisschen extrem, ich würde nicht allen empfehlen, es so zu machen.» Als ich frage, was er jenen, die in Clubs arbeiten, raten würde, zögert er erst einmal. Ratschläge erteilt er nicht gerne. Schliesslich denkt er aber darüber nach, was er gelernt hat, und meint: «Es ist wichtig, sich Freizeit rauszunehmen. Wenn es mal eine Band gibt, die besonders anstrengend ist, lohnt es, sich zu sagen ‹Auch die gehen wieder heim›.» Zuletzt fügt er an: «Besonders wichtig ist es, mit anderen zusammenzuarbeiten, das bringt einen weiter.» Entlang dieser Maximen hat Michi unzählige Abende organisiert. Verleidet ist ihm in all den Jahren «dieses surreale Ding, das man Konzert nennt,» nie. Von einigen Konzerten blieben Freundschaften mit Bandmitgliedern. Andere Konzerte erhielten einen besonderen Platz in der Erinnerung (Kae Tempest) und wurden Teil jener Sphäre, in der die vergangenen Dinge verweilen, die einen durchs Leben begleiten. In Michis Fall wird sicher auch das Salzhaus seinen Platz in ihr erhalten. Für ihn, der fast jede Aufgabe im Club schon einmal übernommen hat, gibt es dort nichts Neues mehr: «Wenn es sich anfühlt, als würde sich alles wiederholen. Wenn du hunderte Male gesehen hast, wie dasselbe Bänkli für eine Konzertvorbereitung von links nach rechts getragen wird, dann hast du es irgendwann zu oft gesehen. Dann ist es Zeit, zu gehen und Platz für Neues zu machen.» Wohin es geht? Wer weiss. Gewiss zum nächsten Anfang, zu jenem vierten Anfang, eben zu jenem Anfang, der zu schreiben bleibt.