Nachhaltigkeit an den Musikfestwochen und darüber hinaus

Nachhaltigkeit an den Musikfestwochen und darüber hinaus

Lotta Widmer verantwortet bei den Winterthurer Musikfestwochen die Nachhaltigkeit und das Event Management. Im Porträt von Madeleine Kulle erzählt die 23-Jährige vom Berufsleben in der «Kultur-Bubble», von ihrem Engagement für ganzheitliche Nachhaltigkeit und was sie als Person ausmacht.

Knarrende Treppenstufen führen hoch in das Büro der Musikfestwochen. Die Räumlichkeit liegt zwischen dem Café zum hinteren Hecht und der Alten Kaserne. An einem grossen Tisch im Sitzungszimmer sitzt Lotta Widmer. Beim Blick aus dem Fenster sind vorbeisausende Autos auf der Technikumstrasse zu erspähen. An diesem Ort, den sie schmunzelnd mit den Worten «klein» und «Chrüsimüsi» bezeichnet, hat sie mit dem Musikfestwochen-Team schon die eine oder andere Nachtschicht geleistet. Das vor allem im Sommer 2021, als die Corona-Massnahmen den Festivalbetrieb einschränkten: «Wie viel wir als Team doch gearbeitet haben!» Doch ihr Ton ist alles andere als negativ: «Gemeinsam ein Festival zu planen, das schweisst zusammen.» Seit 2019 ist sie Teil des Musikfestwochen-Teams. Noch während ihres Studiums absolvierte sie dort ein Praktikum im Bereich Events. Dann wurde sie von der Geschäftsleitung auf einen Kaffee eingeladen und ihr wurde eine Festanstellung angeboten. Seit diesem Frühling ist sie ebenfalls Mitglied der Geschäftsleitung der Musikfestwochen. Diese Verantwortungsbereiche innezuhaben ist ihr eine Ehre: Es sei «mega schön», dass in Kulturinstitutionen auch jungen Menschen eine solche Verantwortung zugetraut wird.

Doch die Arbeit im «Kultur-Kuchen» fällt ihr nicht immer leicht. Der intensive Austausch mit anderen Menschen, den ihre Kulturarbeit voraussetzt, zehrt manchmal an ihrer sozialen Energie. Oftmals komme es auch vor, dass Leute sie nur auf ihre Funktion bei den Musikfestwochen und nicht auf ihr persönliches Wesen ansprechen: «Ich bin immer noch Lotta.» Gleichzeitig muss sie über sich lachen, schliesslich hat sie sich dafür entschieden, in der «Kultur-Bubble» zu arbeiten. Neben dem Festival trat sie 2022 eine Stelle in der Privatwirtschaft an, deren Tätigkeitsbereiche eher hinter den Kulissen liegen. Dort verantwortete sie das Nachhaltigkeitsmanagement und lernte so die Zielkonflikte zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit von einer anderen Seite kennen. Für dieses Spannungsfeld interessiert sie sich seit ihrem Studium in Umweltingenieurswesen.

Anfangs lag im Bachelorstudium der Schwerpunkt ihrer gewählten Fächer noch auf Umweltbildung, dem Unterrichten von Umwelt-Themen. Doch bald bemerkte sie, dass sie zwar gerne mit Menschen zusammenarbeitet, ihre Faszination für pädagogische Fragen jedoch nicht ausreichte, um diese Ausrichtung beizubehalten. Sie setzte ihren Fokus auf pragmatischere Ansätze, fernab von «Seifenblasen und heiler Welt», wie sie es bisher auf dem Campus erlebte. Nachhaltigkeit soll ihrer Ansicht nach massen- und wirtschaftstauglich gemacht werden: «Im Studium hatten viele dieselben Einstellungen und Werte wie ich. Auch wenn die Leute supercool waren, hat mich das abgeschreckt – ich bin kein ideologischer ‹Bubble-Mensch›». Nachhaltigkeit soll ganzheitlich betrachtet werden und somit nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische und soziale Aspekte miteinbeziehen.

Für ihre Bachelorarbeit schrieb sie 2022 einen Katalog mit rund 70 Massnahmen für nachhaltigere Musikfestwochen. Für diese Arbeit erhielt sie den 1. Platz beim «Swiss Green Economy Symposium». Die ersten Massnahmen konnte sie an den Musikfestwochen 2022 bereits umsetzen. Die Punkte reichen von kleinen Veränderungen wie etwa der Reihenfolge der Menüs auf den Menüschildern (zuoberst vegan) über eine transparente Nachhaltigkeitskommunikation auf der Webseite bis hin zu einem Awareness-Konzept. Dieses soll das Bewusstsein für individuelle Grenzen erweitern und so einen respektvollen Umgang unter den Festivalteilnehmenden fördern. Letztere Massnahme löste zunächst Skepsis aus. Doch sie hielt an ihrem Konzept fest. Bei einer so grossen Anzahl von Involvierten sei es schwierig darauf zu warten, bis alle an Bord seien. Trotzdem findet sie es schön, wie divers die Meinungen sind: «Wir sind kein ‹Super-Hipster-Bubble-Festival›. Im August, der Hauptphase, packen die verschiedensten Menschen mit an.» Das Dranbleiben lohnte sich und Lotta Widmer erhielt «das wohl grösste Kompliment», nämlich neu geschaffene Stellenprozente bei den Musikfestwochen speziell für Nachhaltigkeit.

Neben ihren Festanstellungen engagiert sich Lotta Widmer bei «Vert le futur», einem Verein, der sich schweizweit für Nachhaltigkeit in der Kultur- und Veranstaltungsbranche einsetzt. Zudem ist sie Vorstandsmitglied bei «PETZI», dem Schweizer Verband für Musikclubs und Festivals. Dort strategisch zu arbeiten und Vorschläge für mehr Nachhaltigkeit auf nationaler Ebene einzubringen, ist ihr eine willkommene Abwechslung zur operativen Arbeit bei den Musikfestwochen. Solche Inhalte werden ihrer Ansicht nach immer wichtiger werden: «Ich vermute, dass in ein paar Jahren alle Kulturinstitutionen ein Awareness-Konzept haben müssen.»

Den Antrieb für ihr nachhaltiges Engagement führt sie auf ihr Wesen zurück: «Ich habe einen kleinen Gerechtigkeitszwerg in mir drin. Für mich sind Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit so wichtig, dass ich gar nicht anders kann, als mich dafür zu engagieren.» Sich für einen fairen Umgang unter den Festivalbesuchenden vor Ort, etwa im von ihr initiierten Awareness-Team, einzusetzen, kann sie sich aber nicht vorstellen: «Ich verfüge über keine entsprechende Ausbildung, um im Awareness-Team selbst zu arbeiten. Awareness-Thematiken gehen mir sehr nahe, darum habe ich mich ursprünglich auch für diese Massnahme eingesetzt.» Ihre Stärke sieht sie dementsprechend auf der konzeptionellen Ebene, wo sie Bedingungen, wie Richtlinien für Nachhaltigkeit, überhaupt erst schaffen kann. Von ihrer hohen Arbeitsbelastung kann sie sich mittlerweile gut abgrenzen. Sie schätzt ihre beruflichen Möglichkeiten, ist aber genauso gerne zu Hause in ihrer Wohngemeinschaft, wo auch über anderes als Nachhaltigkeit und Kultur geredet wird. Sie besucht ausserdem oft Konzerte, liest derzeit gerne feministische Literatur, geht Klettern und mag 
es, im Sommer auf Wanderausflüge zu gehen, raus in die Natur.

Madeleine Kulle studiert und musiziert und schreibt seit 2022 fürs Coucou.

Mina Monsef ist Fotografin aus Zürich und arbeitet im Bereich der Porträt- und Reportagefotografie.

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