Hauptsache unkonventionell

Hauptsache unkonventionell

Er hat immer wieder Lust auf Neues: Dave Striegel arbeitete bereits als Gitarrenverkäufer und Schauspieler, Barkeeper und Zirkusartist und ist nebenbei auch noch Sänger in drei Bands. Wer Dave fragt, was er in seinem Leben so macht, darf sich Zeit nehmen. Denn es gibt viel zu erzählen.

Bier oder Kaffee? Dave sitzt in seiner Küche auf einem Barhocker. Obwohl er einen Esstisch hat, sitzt er lieber an der Kücheninsel. Er kneift die Augen zusammen, guckt in den Kühlschrank, will sich ein Bier greifen. Dann entscheidet er sich um, der Kaffee in der Bialetti kocht wenige Minuten später auf.

Während Dave von seinem Leben erzählt, scheint es, als werde ihm erst jetzt bewusst, was er alles erlebt hat. Immer wieder fallen Kommentare wie «Boah, schon krass eigentlich» oder «Ach ja, das war ja auch noch!». Konzerte mit verschiedenen Bands, Sommertouren im Lastwagentheater, Bücherkaraoke in der Coalmine, Einsätze als Radiomoderator bei Radio Stadtfilter, Jurymitglied beim Blockflötenkaraoke im Kraftfeld. Während den letzten zwölf Jahren begleitete den 37-Jährigen auch stets die Gastronomie: mal als Serviceangestellter, mal hinter der Bar oder als stellvertretender Geschäftsführer. Aber jetzt sei es «grad’ gut» mit Gastro. Das Abgleichen der Agenden in den verschiedenen Jobs sei schon anstrengend.

 Der Kaffee ist mittlerweile getrunken, dafür die Zigarette gedreht und draussen auf der Veranda angezündet. Seit letztem Oktober wohnt Dave in seiner kleinen, liebevoll eingerichteten Wohnung in einem Backsteinhäuschen im Mattenbachquartier. An der Wand im Wohnzimmer hängen Musikplatten, die Heizung ist vollgeklebt mit Fotos. In der Wohnung nebenan und in den oberen zwei Stockwerken des Backsteinhäuschens wohnen Freunde von Dave. Der Sandkasten im Garten soll demnächst in einen gemeinsamen Sitzplatz umgewandelt werden. Der metallene Pizzaofen dafür steht am Gartenhäuschen und rostet vor sich hin. Dave grinst. «Der soll ja dann auch vintage aussehen.»

In Winterthur will Dave vorläufig bleiben. Es gibt aber eine andere Stadt, in die er immer wieder zurückkehrt. «Meine grosse Liebe», schmunzelt er und zeigt stolz auf seinen Kapuzenpulli. Ein Totenkopf, zwei überkreuzte Knochen: St. Pauli, Hamburg. «Es gibt Orte, da kommst du hin und denkst dir ‹Fuck, das ist voll mein Ding!›» Nach zwei Ausflügen in die norddeutsche Stadt während der Berufsmatur meldet er sich in einer Hals-über-Kopf-Aktion für ein Vorsemester an der Schauspielschule an und kündet seinen Job im Musikgeschäft Hug, ohne zu wissen, ob er an der Schauspielschule angenommen wird. Wird er. Und auch sonst meint es das Leben gut mit Dave. An einem seiner letzten Tage im Musikgeschäft betritt eine Frau den Laden. Carla heisst sie und kommt aus Hamburg. Dave packt die Chance: «Ich habe sie gefragt, ob wir mal bei einem Kafi ein bisschen connecten können.» Können sie. Bald darauf taucht Dave in Hamburg auf, kann bei Carla auf dem Sofa schlafen und bei ihr in der Bar aushelfen. Dave absolviert das Vorsemester und landet schliesslich in der freien Theaterszene in der Schweiz. Da geht es oft wild und laut zu und her. «Ich mag auch klassisches Theater, aber das Trashige sagt mir halt schon mehr zu.» Trashig, dieses Wort nutzt Dave immer wieder.

Trashig sind seine drei Bands, in denen er spielt, und trashig sind auch deren Namen. Für die «Penisbreasts» steht er als Teil der hauseigenen Salzhaus-Band zweimal im Jahr auf der Bühne. Bei den «Bitch Boyz» darf er seinen Langzeitwunsch vom Rappen verwirklichen und mit den «Hero Brothers» tritt Dave mit einer Trash-Country-Gruppe auf. Was vor über zehn Jahren als Witz bei einem Bier begonnen hat, ist mittlerweile ein wichtiger Bestandteil von Daves Leben geworden.

Es hat angefangen zu regnen und die Veranda wurde wieder gegen die Barhocker ausgetauscht. Plötzlich klopft es an der Tür. Daves Mutter kommt rein, sie habe etwas von seiner Kindheits-Coiffeuse für ihn. Sie drückt ihm einen Styling-Schaum in die Hand. «Für deine neue Frisur.» Dave zupft sich seine Mütze vom Kopf. Ein blond gefärbter Iro kommt zum Vorschein. «Das war für das letzte Konzert im Salzhaus», meint er und zuckt mit den Schultern. Er findet’s cool.

Ein Leben ausgelegt auf Freunde, «Projektli» und kreativ sein, das ist für Dave alles. Für ihn ist Lebensqualität wichtiger als Geld. Er sei froh, dass es nie sein Ziel war, viel zu verdienen. Sonst hätte er einige Dinge in seinem Leben nicht gemacht. Ganz nach dem Motto: Wenn du Bock auf etwas hast, dann mach es. Ein Ereignis vertieft diesen Glaubenssatz: «Mir ist eigentlich nur einmal im Leben etwas Schlimmes passiert.» Im Sommer 2014 stirbt Daves Schwester Lilly nach einem Unfall. «Ey, es macht so» - Dave schnippst mit den Fingern - «und das Leben ist vorbei. Bei ihr war das mit fucking 21.» Dann krempelt er sein T-Shirt am linken Arm hoch und zeigt lächelnd ein Tattoo einer tanzenden Frau: Lilly beim Steppen. «Ich glaube, sie findet’s geil, was ich jetzt so mache. Vielleicht würde sie den Iro ein bisschen doof finden. Aber das Konzert hätte sie voll abgefeiert.»

Zurzeit arbeitet Dave vier Tage die Woche beim digitalen Musikvertrieb «iMusician». Damit hat er seinen «Brötli-Job», der ihm auch Spass macht. Die flexiblen Bürozeiten schätzt er mittlerweile, so kann er sich seine «Projektli» schön aufteilen. Sein Ziel ist aber, sich nebenbei als Sprecher selbständig zu machen. Dafür hat er eine einjährige Ausbildung gemacht. Da kommen ihm vor allem seine Schauspielerfahrungen zugute: «Das ist wie Theater spielen, einfach ohne mein Gesicht zu zeigen!» In einem nächsten Projekt hilft er mit, einen Animationsfilm zu vertonen. Darauf freut er sich sehr: «Ich spiele einen Polizisten. So geil!» Auch weiterhin will er anderen seine Stimme für Werbung, Hörspiele, Film oder Fernsehen leihen. «Eher tiefe, herbe Stimme mit Wiedererkennungswert», steht auf seiner Homepage.

«Ich stehe aktuell an einem guten Ort», ist Dave überzeugt. Es habe Momente in seinem Leben gegeben, da sei er unsicherer gewesen. Nach der Berufsmatura zum Beispiel, als er nicht wusste, ob er studieren sollte. Da ging er bei der Berufsberaterin vorbei, ohne Erfolg. Und zehn Jahre später, mit 32, dann nochmals. Und beide Male sagte sie: «Gället Sie, Herr Striegel, bi ihne gilt ‹Hauptsache unkonventionell›?!» Ganz unrecht hatte sie damit wohl nicht.

Alina Kilongan ist hauptberuflich Videoredaktuerin, aber kümmert sich eigentlich lieber darum, dass ihre alten Kleider nicht im Müll landen, sondern ein zweites Leben erhalten.

Roman Surber ist Bildredakteur beim Coucou und findet Hamburg auch ganz toll.

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