«WIIIEEHIIIIHEEEE». Ein schriller, unangenehmer Pfeifton durchdringt den Ballsaal im Kraftfeld. Gut achtzig Personen drehen sich auf der Stelle um, blicken nach hinten in die dunkle Ecke – dorthin, wo Svenja Matz steht. Sie interessiert sich allerdings nicht für das Publikum, sondern dreht ruhig und gezielt an diversen Reglern ihres Mischpults. Dann blickt sie nach vorne und signalisiert der Band, dass es weitergehen kann. «Als Live-Tontechnikerin bin ich eigentlich immer unsichtbar – bis zum Moment, in dem etwas nicht mehr tut.» Dann gelte es, den Fehler so schnell wie möglich zu finden. Ist es eine akustische Rückkoppelung? Ist ein Kabel defekt? Oder ist gerade ein Amp ausgestiegen?
Die Erfahrung hilft, in solchen Situationen nicht nervös zu werden. Svenja steht als Freelancerin regelmässig im Albani, im Gaswerk, in der Roten Fabrik, im Mascotte, im Plaza und an zahlreichen Festivals hinter dem Mischpult. Seit August arbeitet die 30-Jährige ungefähr 60 Prozent im Kraftfeld und ist hier für den Bereich «Produktion und Technik» zuständig. Das heisst, sie mischt nicht nur selbst Konzerte, sondern koordiniert den Pool an verschiedenen Freelancer*innen und schaut, dass ein Konzertabend oder eine Party reibungslos abläuft. «Ich bin oft die erste Person, die kommt, und auch die letzte, die geht», sagt Svenja. Das Nachtleben könne anstrengend sein. Aber sie liebt die Energie des Publikums und der Bands, die Nervosität vor der Show und den Adrenalin-Kick, wenn sie beginnt. Ein guter Ausgleich sei allerdings wichtig. Besonders als Selbstständige habe sie gelernt, sich zwischen Engagements genug Zeit freizuhalten. Im Kraftfeld sei sie nun auch fürs Tagesgeschäft zuständig. Und obwohl sie erst seit wenigen Wochen im Klub am Lagerplatz angestellt ist, fühle es sich so an, «als würde ich hier bereits seit Jahren arbeiten.» Svenja fühlt sich in dem kleinen, alternativen Betrieb wohl: «Die Menschen hier bringen viel Herzblut und Kreativität ein. Sie sind interessiert und haben eine klare politische Haltung – das entspricht mir», sagt sie.
Vor sechs Jahren ist sie zusammen mit Röbbel, einem guten Freund, nach Winti in eine WG gezogen. Sie mag die Stadt, auch weil sie hier inzwischen viele Leute kennt: «Es ist halt wie ein grosses Dorf.» Aufgewachsen ist Svenja in Aadorf. Dort ist sie auch heute noch ab und zu anzutreffen – und zwar in der Autowerkstatt von Freund*innen. Sie mag Autos und macht daher auch den Service selbst. Während sie hinter dem Mischpult kaum auffällt, tut sie das im Strassenverkehr umso mehr: Svenja fährt einen Highway-Patrol-Sheriff-Wagen. «Oh nein», sagt sie lachend. «Ich bin keine Polizeifreundin! Ich provoziere einfach gerne.»
Was sie beruflich machen wollte, wusste sie lange nicht. Eine Fachmatur schloss sie im Bereich Gesundheit ab. «In der Berufsberatung hiess es immer, ich sollte was ‹Kreatives› machen, zum Beispiel Grafikerin», sagt sie. Schliesslich hörte sie von der Audio-Engineering-Ausbildung an der SAE – und weil sie viele Bands und Leute kennt, die in der Musikbranche arbeiten, dachte sie: «Warum nicht?» 2014 begann sie als Stage-Hand im Gaswerk mitzuhelfen. Dann absolvierte sie ein Volontariat in der Roten Fabrik, bei dem gezielt Frauen in veranstaltungstechnischen Berufen gefördert werden. Svenja bemerkt, dass sie sich als Frau in ihrem Beruf behaupten müsse. «Der Vorteil ist aber, dass man den Leuten eher in Erinnerung bleibt, wenn man einen guten Job macht.» Und es sei stark vom Ort abhängig: In kleinen Klubs wie dem Kraftfeld sei das nicht so spürbar wie bei grösseren Betrieben oder gar Festivals, bei denen die Atmosphäre mit derjenigen einer Grossbaustelle vergleichbar sei. «Ich mache Krafttraining, damit ich all die schweren Geräte und Amps selber tragen kann», sagt Svenja. Oft werde sie aber auch wegen ihres jugendlichen Aussehens nicht als die Person wahrgenommen, die die Verantwortung innehabe: «Nicht selten wenden sich Bands mit ihren Fragen zuerst an den Stage-Hand.»
Für ihren Beruf braucht sie nicht nur ein gutes Gehör. Es sei auch von Vorteil, anpassungsfähig zu sein. Aktuell arbeitet sie mit Jonas Häni, ebenfalls Tontechniker aus Winterthur, bei einem Kinderzirkusprojekt mit. Und wenn sie mit Big Zis unterwegs ist, steuert sie über Effektgeräte die Stimme der Rapperin. Je nach Auftrag seien aber auch noch andere Geschicke gefragt: «Takt- und respektvoll mit Menschen umgehen zu können, ist sicher hilfreich.»
Musikalisch ist Svenja vielseitig interessiert: «Ich höre alles querbeet.» Auch spezielle Nischen wie Witchhouse. «Trapartige Beats mit sehr atmosphärischen Synthiemelodien, vielen Effekten, Hall und Distortion», beschreibt Svenja das Genre. Es sei eher hart komponierte Musik, der Gesang oft unverständlich und repetitiv, die Texte düster. Oft spielten Witchhouse-Musiker*innen auch mit einem okkulten Image. Zusammen mit Röbbel hat sie vor ein paar Jahren selbst ein Witchhouse-Projekt gegründet: n3<∅m∧†∧·(«Nekomata» ausgesprochen). Als Duo traten sie 2021 an der Winti-Night der Musikfestwochen auf, nun steht am 10. Dezember die Plattentaufe ihres ersten Albums/EP im Kraftfeld bevor. «Die Idee ist nach wie vor Witchhouse, aber so eng sehen wir das mit dem Genre nicht. Wir machen einfach», bemerkt Svenja. So seien auch einige Elektropunk-Songs entstanden oder «Angst und Geld», ein Track auf Mundart, den sie zusammen mit Ruedi Tobler aka playmob.il und dem Rapper FiggdiSam aufgenommen haben. Für den Song hat Svenja übrigens auch das Video gemacht. Ein paar Jahre zuvor hat sie bereits mit Jorge Oswald von der Winterthurer Band No Me Coman am Kurzfilm «Geminis» gearbeitet. Auch Visuals macht sie gerne, zum Beispiel fürs «Craftyland», der Sommerbar des Kraftfelds. Ihr Spezialgebiet sei zwar der Ton, «aber ich mache auch sehr gerne das Licht bei Konzerten, weil ich dann mit dem Licht zur Musik mitspielen kann.» Daneben legt sie gelegentlich auf – unter dem DJ-Namen Mi$$ Hi$$. Zudem zeichnet sie Flyer ... Und sie tätowiert ... «Hui, das sind ganz schön viele Hobbys. Ich glaube, ich mache viel zu viel», sagt sie lachend – und doch auch über ihren Elan überrascht.