Das Schöne am Biestig-Sein

Das Schöne am Biestig-Sein

Die Winterthurer Dragqueen Effi Mer Delamaskis verkörpert am liebsten Fabelwesen und spielt in ihren Auftritten mit dem Monsterhaften. In ihrer Performancekunst hinterfragt sie Gendernormen und sprengt Schönheitsideale – und zeigt auf, dass die Grenzen zwischen Mensch und Monster fluide sind.

September 2015, Heaven Club Zürich. Es ist einer der ersten Auftritte der Winterthurer Performancekünstler*in und Dragqueen Effi Mer Delamaskis. Der Abend wird ihr auch Jahre später als einer ihrer liebsten Auftritte in Erinnerung bleiben. Sie trägt ein Kleid, das an eine bunte Himbeere erinnert. Es sind Ballone, grüne, blaue, weisse, die sie in Strümpfe gesteckt hat und nun um sich gewickelt trägt. Im Laufe des Abends werden viele davon platzen. Aber bevor das passiert, stöckelt Effi auf die Bühne des Nachtclubs, die Scheinwerfer gehen an, 1980er-Jahre-Gitarrensound erklingt und sie schnappt sich das Mikrofon: «Nein, nein, nein / Warum soll ich meine Pflicht als Frau erfüll'n / Für wen? / Für die? / Für dich? / Für mich? / Ich hab' keine Lust, meine Pflicht zu erfüll'n.»

 

Es ist Nina Hagens Punkrock-Song «Unbeschreiblich weiblich». Effi ist an diesem Abend 25 Jahre alt und nimmt am szenebekannten «Heavens Drag Race» teil. Drag Races sind Wettbewerbe für Dragqueens. Sie performen dort zum Beispiel Songs ihrer Wahl mit passenden Lippenbewegungen und Tanzmoves. Am Ende des Abends wird ein*e Gewinner*in gekürt – aber Effi ist das Gewinnen egal. Sie möchte nicht die Beste oder Hübscheste sein (was heisst das überhaupt?) – sie nimmt teil, um mit ihrem Äusseren zu provozieren, zu irritieren, ein Statement zu setzen. Sie hat nämlich keine perfekt sitzende Schminke auf dem Gesicht, sondern trägt borstige Federn als Wimpern und einen Teich von pinker Schminke um ihren Mund. Viele der Teilnehmer*innen entsprechen dem normativ-weiblichen Schönheitsideal, sind makellos geschminkt, die Haare sitzen perfekt – Effi will das Gegenteil. Mitten in der Performance greift sie sich zwischen die Beine und zieht eine blutige Binde aus ihrer Strumpfhose. Mit einer eleganten Handbewegung schmiert sie Blut auf ihre Wangen und wirft die Binde danach ins Publikum.

 

 

März 2022, Winterthur. «Ich wollte Geschlechtergrenzen sprengen! Warum soll ich Drag machen und mich dann wieder in diese sehr engen Vorstellungen von Schönheit drängen lassen?» Effi blickt bei einem Kaffee auf die letzten sieben Jahre als Dragqueen zurück. Für die Herkunft des Worts «Drag» gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Der populärste: Drag ist ein Akronym für «Dressed as a Girl»,oder auch «Dressed as a Guy». Was exklusiv klingen mag, ist für alle offen: Jede*r kann eine Dragqueen sein. Männer, Frauen, nonbinäre Menschen. Hauptsache, es wird verkleidet und Schminke aufgetragen. Das Ziel: Geschlechterrollen sprengen, den Status Quo in Frage stellen oder eine ernst gemeinte Hommage performen. Auch wenn dies Lai*innen oft denken: Drag ist nicht gleich Transidentität. Drag ist eine Auftritts- und Kunstform und kein Ausdruck der eigenen Geschlechtsidentität. Aber Drag kann, durch die ultimative Offenheit und den unendlichen Verkleidungsspielraum, manchmal auch dabei helfen, die eigene Geschlechtsidentität besser zu verstehen. So wie bei Effi als nonbinäre Person. 

 

Angefangen hat dieser Prozess mit ihrer Abschlussarbeit in der Fachmittelschule. Das Thema der Fotoarbeit: Verwischung geschlechtlicher Grenzen. Effi inszenierte sich und andere in unterschiedlichen Kostümen und merkte: Durch das Verwandeln verschwanden viele Unsicherheiten. Ob sie männlichgenug war oder zu weiblich zum Beispiel, spielte plötzlich keine Rolle mehr.

«Ich bin immer Effi. Mit Schminke, unterschiedlichsten Kleidern oder ohne sie. Das sind nur verschiedene Nuancen meiner Persönlichkeit», weiss sie heute. «Mein liebstes Pronomen für mich selbst wäre they. Aber weil es noch kein they im Deutschen gibt, ist auch ‹sie› okay, als willkommene Abwechslung zum generischen Maskulinum. Das ist aber nur die zweite Wahl.»

Auf die Abschlussarbeit folgte bald die Namenskreation ihrer Kunstfigur: Effi Mer Delamaskis. Der Vorname lehnt sich an das Wort «ephemer» an, was so viel wie flüchtig, die Form wechselnd, unbeständig bedeutet. Anders als viele Dragqueens trennt Effi ihre Performancepersönlichkeit nicht von ihrer privaten Person – sie ist Teil eines grösseren Ganzen, das sich ständig verändert, verändern darf.

 

Im Frühjahr 2022 schminkt sich Effi nach langer Zeit wieder für die Öffentlichkeit. Die Pandemie war schwierig für sie: Effi lebt von ihrer Kunst und gleichzeitig auch in ihr. Die Grenzen zwischen Privat- und Arbeitsleben sind bei ihr fliessend. In den letzten zwei Jahren wurde sie ihrer Barjobs im Nachtleben beraubt, Auftritte wurden abgesagt, alles wurde ruhiger. Im Februar legt ihr Partner im queeren Treff «Willsch» in Winterthur wieder Musik auf, Effi kommt in Drag. Sie schiesst ein Selfie von sich im Spiegel: rosarote kurze Perücke, Mund und Nasenpartie erinnern an einen Fisch, blauer Lidschatten prangt kastenförmig auf ihren Wangenknochen – es sind Animeaugen, die ihr Gesicht zieren. Sie sieht aus wie ein Fabelwesen, das fernab unserer Welt ein spannenderes Leben führt. «Wenn ich in Drag nicht mehr als menschlich gelesen werde, ist das ein sehr schönes Gefühl. Ich merke, dass die Leute mich nicht mehr wie eine Frau oder einen Mann behandeln. Ausserhalb dieser Grenzen des Geschlechts zu leben, ist befreiend.»

Nach einem Bachelor in Fine Arts in Basel und einigen Monaten im Masterstudiengang Fine Arts in Zürich hat sie genügend kreative Strategien zur Verwandlung erlernt. Meistens fängt sie einfach mit Theaterschminke und griffbereiten Dingen an. Inspirierend findet Effi Shows wie «Shudders Boulet Brothers’ Dragula», eine amerikanische Dragshow, bei der sich alle Teilnehmer*innen in Monster und Horrorfiguren verwandeln. Die Show gefällt ihr, weil Monster kein spezifisches Geschlecht haben und alle, die wollen, teilnehmen können. Es gewinnen jene, die ihren Stil am besten in verschiedene Aufgaben integrieren können. «In diesem Konzept sehe ich auch Potenzial für Drag in der Schweiz. Hier ist immer noch alles sehr traditionell, auch in Dragkreisen. Das möchte ich erweitern – und ein bisschen schockieren», sagt Effi und lacht. Was sie «schockieren» nennt, ist auch inspirierend: Mit ihrer Kunst löst sie bei anderen vieles aus. Sie wird deshalb auch für alles Mögliche nach Rat gefragt. Nach der besten Theaterschminke. Oder danach, wie man einen befreiten, fliessenden Zustand erreichen kann.

  

Noëmi Roos ist freischaffende Kulturjournalistin und studiert an der ZHdK im Master Kulturpublizistik. Sie schreibt für Kulturmagazine und Zeitungen, und liebt neben Kunst und Kultur auch alles Unerhörte, Trashige, oder Katzenbezogene.

 

The Bad Conscience ist ein Künstlerduo bestehnd ais Veru Loremipsum und identitycrisis?. TBC arbeitet interdiszipinär, liebenswert, fragil und anarchisch. Sie dokumentieren seit Jahren LGBTQ-Events in Zürich.

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