«Ich meide jeden roten Teppich»

«Ich meide jeden roten Teppich»

Mit ihren Follower*innen könnte Michèle Krüsi zehn Letzigrund-Stadien füllen. Jedes Bild, das die Winterthurer Influencerin auf Instagram postet, macht sie berühmter. Geplant war das nie.

Sie trägt ein Strandkleid, hinter ihr erstrecken sich die Weiten der Sahara, durch ihre Hände rieselt Sand. Sie trägt Hotpants und ein bauchfreies Oberteil, kniet am Ufer eines Sees, der an ein schroffes Bergpanorama grenzt. Sie trägt einen Bikini, hängt damit kopfüber vom Dach einer Yacht, mitten auf dem Zürichsee. Die Fotos sind auf Instagram, die Frau darauf ist Michèle Krüsi. Beruf: Influencerin. Mit ihren Posts erreicht sie über 468’000 Follower*innen. Ihr Mode-Blog «The Fashion Fraction» gehört zu den erfolgreichsten der Schweiz.

 

«Ich bin da einfach reingerutscht», sagt Michèle Krüsi, nachdem sie sich im Café Fahrenheit in Winterthur einen Platz ausgesucht und einen Cappuccino bestellt hat. Ihre Stimme ist weich, ihre Bewegungen geschmeidig wie die einer Tänzerin. Ihre melierten Haare hat sie zu einem lockeren Dutt zusammengebunden. Um den Hals schmiegen sich drei goldene Kettchen, die in verschiedenen Längen über ein schwarzes Longshirt hängen. Dazu eine weite Tweed-Hose mit Schottenmuster. Für Mode interessierte sich die 28-Jährige schon vor zehn Jahren, als sie ihre Ausbildung als Grafikerin absolvierte. Auf «Lookbook», einer Fashion-Plattform, teilte sie ihre Outfit-Ideen und gründete bald darauf einen eigenen Blog. «Das war damals so neu, kaum jemand wusste, was bloggen bedeutet», sagt sie. «Und für Fashion interessierte sich in meinem Dorf niemand.» Michèle Krüsi witterte Vorurteile und Kritik, und behielt ihre Leidenschaft deshalb lieber für sich.

 

Luxusmarken fragen sie an – nicht umgekehrt

Die Winterthurerin blickt kurz nach unten und stochert mit dem Löffel im Milchschaum des eben servierten Kaffees. Ihre Augen sind mit einem dünnen Lidstrich geschminkt, der am Aussenrand geschwungen endet. «Plötzlich erfuhren doch alle davon», erzählt sie weiter. Das war 2012, als eine spanische Modekette eine neue Kollektion lancierte. Die T-Shirts waren mit geklauten Bildern von ihr und anderen Blogger*innen bedruckt. Der Skandal ging durch die internationale Medienlandschaft wie ein Lauffeuer. Ihre Angehörigen lasen schliesslich in einer Zeitung über ihr heimliches Unterfangen. Michèle Krüsi lacht und schüttelt den Kopf. «Sie fanden cool, was ich mache.»

 

Seit ein paar Jahren macht sie praktisch nur noch das: Bloggen. Leben kann sie gut davon. Einnahmequellen sind neben ihrem Blog und ihrem Instagram-Account Kooperationen mit Mode- und Beautybrands. Luxus-Modemarken wie Hermès oder Cartier kommen auf sie zu – nicht umgekehrt. Zudem baut sie gerade ihren eigenen Lingerie-Brand auf. «Das ist mein neues Baby», sagt sie und strahlt über das ganze Gesicht. Wie schon als Bloggerin managt Michèle Krüsi auch hier alles selbst, wählt die Stoffe, verhandelt mit den Produzent*innen. Ihre Arbeit als Selbstständige hat sie viel gelehrt. «Du bist beispielsweise gezwungen, mit 50-jährigen Business-Männern über deinen Wert zu verhandeln.» So habe sie schnell gelernt, für sich einzustehen und auch mal Nein zu sagen. Zu einer Kollaboration mit Beauty-Kliniken zum Beispiel. «Ich habe diesbezüglich bestimmt schon 20 Angebote erhalten.» Von Lippenaufspritzen über Nasenkorrekturen bis hin zu Brust-OPs sei alles dabei gewesen. Sowas könne sie einfach nicht vertreten. «Ich habe absolut nichts dagegen, wenn jemand sich die Brust vergrössern lässt. Aber Werbung dafür zu machen, ist nochmals eine andere Sache.»

 

«Eigentlich bin ich mega scheu»

Mit ihrer Followerschaft könnte Michèle Krüsi das Stadion Letzigrund in Zürich rund zehnmal füllen. «Über sowas mache ich mir aber kaum Gedanken», sagt sie. Ihre Popularität ist hauptsächlich im Internet spürbar. Auf der Strasse wird sie selten angesprochen. Das sei ihr ganz recht. «Eigentlich bin ich mega scheu und meide jeden roten Teppich.» Von dieser Schüchternheit ist auf ihren Instagram-Bildern nichts zu sehen. Online zeigt sich die Influencerin locker, happy und selbstbewusst. Mit dieser Seite von sich will sie bei den User*innen positive Gefühle wecken. Gleichzeitig ist das ihre Waffe gegen «Hater». Der Plan scheint aufzugehen: Komplimente seien häufig, Antipathie selten. «Und überhaupt – ich muss nicht alles zeigen.» Ist sie mit dem Partner, Freund*innen oder der Familie unterwegs, bleibt das Handy in der Tasche.

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