Logbucheintrag August: Zur Poetographie gehört die Erfahrung des Poetogenen und des Poetogenié. Als ich neulich am Grüze-Bahnübergang wartete und jenseits der Schranken die Kehrrichtsverbrennungsanlage (KVA) in den Nachthimmel emporragte, dachte ich: «Poetogen!» Der Gedanke «Die Anlage sieht wirklich eindrücklich aus, darüber müsste man ein Eydu schreiben» verschmolz in dem versehentlichen Zusammenstoss der Worte «fotogen» und «Poesie» zu einem einzigen. Dieser aus seinen Hohlräumen herausstrahlende und aus seinen Schloten dampfende Leviathan, der Tag für Tag unsere Reste vertilgt, sich von dem nährt, was wir nicht sehen wollen, doch unsere Gesellschaft bis ins Innerste prägt ... die Verpackungen, das Zerbrochene, das Zerknüllte, Zerrissene, Zerfranste, Ausgewaschene, Abgegriffene, Überflüssige, Ausgemistete, Weggeschleuderte, Abgeschnittene, «Was du online chaufsch / Oder konsumirsh wird mal ab / Fall sii den chum ich» wie Adi Walz in MÜLLWAGEN poetographierte ... all der Müll, der zum alltäglichen Zyklus aus Konsumieren und Wegwerfen, Arbeit und Freizeit gehört, all unsere recycelten, in dieser Anlage manifesten Tage erschienen mir – poetogen. Die KVA hatte etwas Ansprechendes an sich und für mich war klar, dass sie eine Strophe in dem vielstimmigen Epos, das die Poetographie dokumentiert, werden muss: Leviathan, tausender Tage Reste verbrennen in dir ... wir – KVA vor Nachthimmel Ich übernehme hier die interessante Variante, den Titel nachzustellen. Alessandra Willi präsentierte sie in der letzten Ausgabe. Nun weiss ich natürlich nicht, ob es diesem Eydu gelingt, das Poetogene der Anlage wiederzugeben – die 7-7-3-Silben-Form weicht, obschon begründet, stark von dem 5-7-5- Silben-Ideal ab. Auf jeden Fall aber sind wir mit dieser Frage, ob man das Poetogene getroffen hat oder nicht, beim Poetogenié angelangt. Ein Wort analog dem vagen Begriff «photogenié», das Bewegtbilder bezeichnet, denen es gelingt den gefilmten Gegenstand faszinierend darzustellen. Man empfindet das Poetogenié von Eydus beim Poetographieren, sagt man sich doch manchmal: «Das habe ich ganz gut getroffen». Damit ist ein Eydu bereits gelungen. Es ist, wie man im Norden sagt, «sutje» (bedächtig, sachte, hat die Sache getroffen) und vielleicht empfinden das auch andere, teilen es einem mit. Das sutje Eydu hat also eine anekdotische Qualität, eine persönliche Bedeutung. Spinnt man diesen Gedanken weiter, müsste es aber auch, wie die Menschen von Welt sagen, «suave» (sprich: «swave»; gelassen, charmant, zuvorkommend, verbindlich, sachte, eine Sache so getroffen zu haben, dass sie allgemein fasziniert) Eydus geben. Diesen käme eine sprichwörtliche Qualität zu und sie überflügelten ihre*n eigene*n Poetograph*in, da sie so trefflich wären, dass sie allen gehörten – wie jene Könige oder Königinnen, die eine Festgesellschaft wählt und die dazu dienen, die Feierlichkeit, ob fröhlich oder ernst, zu krönen. Das Suave lässt sich also keineswegs erzwingen, da es einzig zwischen Menschen zu Stande kommt. Manchmal am Deutweg denke ich: «Menschen warten, bis / sie es peilen, um über / Zebras zu eilen» (Ricardo Romero). Und neulich lag ich auf der Eschenberglichtung, dachte: «Ach, wie bin ich klein / im feuchten Gras hier liegend / bei Sternenregen» (Susanna Streit). Vielleicht haben diese Eydus eine suave Tendenz. Aber das ist natürlich nur meine sutje Annahme.ƒ
Poetographie
Hörtext von Marc Herter.
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