DAS KLEINE LEXIKON DER POETOGRAPHIE
Poetographieren. Mittels eines kollektiven Schreibprojekts eine «Stadt» poetisch kartographieren, einen Atlas der Stimmungen, Geschichten, Bevölkerung usf. anlegen, kurz, ein kollektives Epos schaffen.
Kollektives Epos. Vorzu entstehendes Ergebnis des Poetographierens; unabschliessbares und jederzeit abgeschlossenes Ganzes; die vielstimmige Gesamtheit aller Eydus.
Eydus. Die Strophen des kollektiven Epos. Dreizeiler à 5-7-5 Silben, mittels denen Poetograph*innen die Orte Winterthurs in Worte fassen.
Poetograph*innen. Jene, die poetographieren und denen sich derart diese Tätigkeit einschreibt. Im engen Sinne, da ihr Name fortan mit einem Eydu verknüpft im kollektiven Epos bewahrt wird. Im weiten Sinne, da durch diese Tätigkeit ein anderes Denken, Wissen, Erkennen, Wahrnehmen, Empfinden von Winterthur entsteht.
Poetische Sinnlichkeit. Die durch das Poetographieren und/oder das Studieren des kollektiven Epos geprägte Sinnlichkeit, die ein Nachsinnen an die Hand gibt, das auf dem zu Bewusstsein gekommenen Poetogenen Winterthurs fusst.
Das Poetogene. Scheint auf, wenn man durch die Gegend läuft und denkt: «Darüber sollte ich ein Eydu schreiben». Kern der Poetographie – deren werdende Ursache. Beschreibt das Zugleich einer doppelt vernommenen Verantwortung. Die gegenüber einem Ort, dessen Eindruck danach fragt, in ein Eydu eingefasst, bewahrt, erfahren usf. zu werden, und die gegenüber dem kollektiven Epos, das nach einem Ausdruck fragt, diesen Ort der Allgemeinheit mitzuteilen.
Poetogenié. Rückt nicht das Verhältnis zwischen Ort, Eydu und Poetograph*in, sondern das zwischen Eydu und Eydu-Leser*innen in den Blick. Ist die Beschreibung von Eydus als sutje oder suave. Sutje sind die, die einen persönlich ansprechen, die eigene Stimmung treffen, denen man eine anekdotische Qualität zuspricht. Suave die, von denen man annimmt, dass die Allgemeinheit den eigenen Gefallen an ihnen teilt, da sie die Stimmung eines Ortes trefflich zu treffen scheinen – man spricht ihnen sprichwörtliche Qualität zu.
Poetographistik. Die Beschreibung von Eydus als sutje/suave führte in ihre Nähe. Unter ihr sind Schreibformen versammelt, die die Poetographie reflektieren; das kollektive Epos kommentieren, auslegen, interpretieren; Eydus in Erzählungen einbinden, zur Geschichte entfalten oder aus ihnen Gedankengängen entwickeln – architektonische, biologische, gesellschaftliche, historische, politische, psychoanalytische, sozialwissenschaftliche usf. Den Schreibformen ist gemein, dass sie – wenn man so will – die profane Mythologie, die im kollektiven Epos schlummert, weckt und die Eydus in neue Lektüregeschichten einbettet, um sie tagträumen zu lassen. Der geweckte Traum, der sich in Winterthur hineinbildet, hat die Gestalt des Winterthur Winterthurs.
Winterthur Winterthurs. Das Verständnis von Winterthur, das durch den und in dem kollektiven Epos willkürlich entsteht, von der Poetographistik «aus» den Eydus (in den Worten, aus denen sie bestehen, sowie den Subtext derselben) sowie «durch» sie (durch die Kontexte, in die sie eingebettet werden) als auch zwischen ihnen interpolierend wiedergebildet wird. Es entstaltet das bestehende Bild von Winterthur. Die immer ‹im Entstehen begriffene› Gestalt poetischer Sinnlichkeit – unendlich-endlich die aufs äusserste verinnerlichte Poetogenität.
Poetogenität. Kern der Poetographistik. Das Aufscheinen von Bedeutung, die nicht aus den einzelnen Eydus, sondern aus dem Zusammenklang vieler hervorgeht. Erst sie wandelt eine Ansammlung von dreizeiligen Gedichten zu einem kollektiven Epos, die Gedichte zu seinen Strophen – Eydus. Sie scheint bspw. auf, wenn auffällig viele Poetograph*innen unabhängig voneinander den selben Ort poetographieren, da so ersichtlich wird, dass dieser Ort poetogen ist, ferner, dass die Orte der «Stadt» eine unterschiedliche poetogene Intensität besitzen – die Poetosphärendichte und die Dichteverschiebungen (zu verschiedenen Wetterlagen, Jahreszeiten, historischen Situationen usf.) in Winterthurs Textur werden dergestalt vernehmlich. Die Wirkung der Poetogenität auf die poetische Sinnlichkeit, ferner, das Poetogene ist … kollektive Genialität, dichte Er-inner-ung, Suaveness?