Das Buswartehäuschen Rosenberg

Zwischen Ruhe- und Raststätte, zwischen Innenstadt und Friedhof: das Buswartehäuschen Rosenberg.

Seit 1934 steht es unverändert an der Ecke Schaffhauserstrasse und dem Weg zum Friedhof, das Buswartehäuschen Rosenberg. Seit Jahren wartet kaum jemand mehr auf den Bus im elegant geschwungenen Wartebereich. Früher begaben sich hin und wieder Männer zu den Aborten hinter dem Häuschen. Doch diese sind seit langer Zeit verschlossen. Hin und wieder verirrt sich einer mit Bierflasche in der Hand auf das Wartebänkchen. Vor ein paar Tagen sass eine junge Frau dort, tief gebückt, den Kopf in ihren Händen.

Die Telefonkabine, die sich im Wartebereich befand, wurde vor ein paar Jahren abmontiert. Nur das Glasschild «TELEPHON» in der Betonaussparung der strassenseitigen Mauer überlebte die Demontage. Dort, wo früher die Telefonkabine stand, erblickt man jetzt das Schild in Spiegelschrift. An einem späten Sommernachmittag entfaltet der Ort seine ganze Magie: Der Schattenwurf verleiht dem Gebäude scharfe Konturen und die Sonne verwandelt das «NOHPELET»-Täfelchen in ein leuchtendes Neonschild. 

Wer dann auf der Wartebank sitzt, begibt sich auf eine Zeitreise. Ein Lastwagenchauffeur taucht auf. Er konsultiert das Telefonbuch in der Telefonzelle, da die Adresse der abzuliefernden Mahagonikommode auf dem Lieferschein nicht stimmt. Danach ruft ein Teenagermädchen, ungestört von seiner Mutter, die in der Küche die Ohren spitzen würde, seine neue Flamme an. «Wenn die nur endlich fertig wäre», brummt der elegant gekleidete Herr im grauen Sakko, der schon eine Weile wie der Tiger im Zoo seine Runden dreht. Er will kurz seine Frau informieren, dass er in einer halben Stunde zuhause sein wird und froh wäre, wenn das Essen dann auf dem Tisch stünde.

Zurück im Jetzt herrscht im Bushäuschen gähnende Leere. Auf der Schaffhauserstrasse schiebt sich ohne Unterlass Auto an Auto vorbei. Der Wegweiser zum Friedhof wirbt für die Stätte der ewigen Ruhe. Die Zeiger der Uhr auf dem Häuschen drehen unablässig ihre Runden.

Über die Weihnachtstage hat jemand dem Ort seine Magie geraubt. War es ein Mann mit hohem Alkoholpegel, der einst in der Schule gelernt hatte, dass sich Telefon nicht mit «ph», sondern mit «f» schreibt? Wollte er den Orthografiefehler mit einem gezielten Steinwurf korrigieren? Bleibt zu hoffen, dass die Stadt das zerbrochene Schild entfernt und für einen Ersatz sorgt – mit der ursprünglichen Orthographie. Denn nur so würde das Wartehäuschen mit seiner leichten, vom Bauhaus inspirierten Architektur seinen Charme zurückerhalten und einem auch in Zukunft zu Zeitsprüngen verführen.


Martin Steiner fotografiert die Wege der Menschen, schreibt Songs und macht Collagen aus Versatzstücken des Lebens. Mehr davon gibt es hier.

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