Als ich mit meinem Grossvater zum ersten Mal hierherkam, war die grosse Borussia Dortmund zu Gast und mit ihr der beste Fussballer der Schweiz: Stephan Chapuisat. Im Stadion gab es Süssigkeiten, Pommes Frites, Bratwurst und Hot Dogs. Der Grossvater liess mich manchmal den Schaum von seinem Bier kosten. Es war wie im Paradies.
Heute fahre ich mit meinem Fahrrad fast die gleiche Strecke wie damals mit meinem Opa: Von Wülflingen her über die Oberfeldstrasse an die Schützenwiese. Verglichen mit früher hat das Bier heute allerdings bedeutend mehr Anziehungskraft als nur sein Schaum. Ich trinke eines, während ich beim Eingang des Sektors B auf meine Freunde warte. Ich bin gespannt, was mich gleich erwartet. Ein Fussballspektakel? Ein Grottenkick? Drei Punkte für den FC Winterthur? Oder gar ein Ausgleich des Gegners in der letzten Sekunde? Meine Freunde treffen ein, und wir gehen durch die nostalgischen Kassenhäuschen ins Stadion zum harten Kern der Fans, in die Bierkurve, wo auch alle anderen Freunde und Bekannten begrüsst werden. Wie ich, sind alle gespannt, was der kommende Match bringen wird, aber trotzdem herrscht eine freudige und lockere Atmosphäre. Aus den Lautsprechern des Stadions dröhnt «Hell’s Bells», Fahnen werden geschwungen, und die Spieler betreten das Spielfeld.
Dichter Rauch von der Pyrotechnik steigt in meine Augen, das Atmen fällt mir schwer. Mit meinem Schal verdecke ich mein Gesicht, um nicht den ganzen Qualm einzuatmen. Mit dem Anpfiff verziehen sich die Rauchschwaden, vorbei am anarchistischen Astronauten auf der Kunstgalerie «Salon Erika», aus dem Stadion. Die Sicht auf den Platz ist frei, und es gilt, die Mannschaft lautstark anzufeuern. Es wird gesungen und geklatscht. Meine Freunde überreden mich, einen Schnaps zu trinken, der freundlicherweise direkt auf der Tribüne serviert wird, und ehe ich mich versehe, ist Halbzeit. An einer der vielen Verpflegungsmöglichkeiten gönne ich mir eine Portion Fisch mit dem üblichen Getränk als Begleiter. Wohlgenährt kann die zweite Halbzeit beginnen. Eine Gruppe junger Erwachsener will mich überreden, bei ihrem Bierspiel mitzumachen. Der Zocker in mir wird bereits von Adrenalinschüben durchgeschüttelt. Aufgrund einer kurzen Wahrscheinlichkeitsrechnung und meines vom Studium arg strapazierten Geldbeutels verzichte ich jedoch auf eine Teilnahme.
Die Zeiger der Uhr auf der historischen Anzeigetafel laufen wortwörtlich ihre Runden – bis zum Schlusspfiff. Der einzig logische Weg nach dem Spiel führt an der «Sirupkurve» – die eigens für die Kleinsten gebaute Tribüne – vorbei in die Kneipe des Stadions, die «Libero-Bar». Die «dritte Halbzeit» steht an. Ich fachsimple mit anderen Zuschauerinnen und Zuschauern energisch über Fussball und das heutige Spiel. Es wird Musik gespielt und getanzt. Erst zu später Stunde verabschiede ich mich von der Schützenwiese und begebe mich zusammen mit meinen Freunden auf den Weg in eines der guten Kulturlokale der Stadt.
Das Paradies, das ich aus meiner Kindheit in Erinnerung habe, existiert noch heute. Es ist schöner denn je. Nicht mehr nur wegen der Süssigkeiten und Pommes Frites, sondern weil ich mehr denn je realisiere, dass die Schützenwiese ein Ort der Gemeinschaft ist. In meiner Jugend hatte ich nicht viel Interesse an Fussball, ich fand Eishockey immer die spannendere Sportart. Der FC Winterthur hat mich mit seiner weltoffenen und sozialen Art jedoch dazu gebracht, dass ich Fussball heute so richtig liebe. Zusammen werden die Schützi und ich noch unendlich viele Geschichten schreiben – die meisten werden hier spielen und nirgendwo zu lesen sein.