Es ist die Geschichte eines Jungen, der im verarmten Norden Frankreichs als Kind von Arbeiter*innen aufwächst. EinKind von desillusionierten Eltern, die in prekären Verhältnissen leben und kaum etwas haben ausser ihren kranken Körpern. Von der Politik alleingelassen und gefangen in aus der Zeit gefallenen Vorstellungen von Geschlechter- und Familienrollen, lebt die Familie ein Leben, das wenig Lust und Freude zu bieten hat.
Ein Leben, aus dem der Sohn nicht nur ausbrechen will, sondern muss. Wohin genau es ihn zieht, wird erst im Verlauf seiner Erzählung klar. Sicher ist nur eines: Je mehr er sich seinem Ziel nähert, desto weiter entfernt er sich von seiner Familie. Es ist eine Flucht nach vorne. Hauptsache weg! Auch wenn das heisst, Freund*innen zu verlieren oder sich in der Not sogar selbst zu verkaufen.
Die Geschichte überzeugt durch nüchterne Betrachtungen von gesellschaftlichen Problemen in Frankreich, die aus dieser persönlichen Perspektive greifbar werden. Das Buch verstehe ich als eine Nachricht an den Vater, den Édouard in der Vergangenheit zurücklässt. Das macht es zu einer intimen und ergreifenden Erzählung, die man gerne bis zum Ende liest.
«Anleitung ein anderer zu werden» umfasst 272 Seiten und wiegt 373 Gramm.
Sandro Berteletti ist freischaffender Kulturmanager in Zürich.