Nun, ob man der Schattenexistenz zwischen Tod und Leben mit dem Begriff der Realität tatsächlich gerecht werden kann, bleibt fraglich. Was jedoch nicht in Frage gestellt werden kann, ist die Treffsicherheit von Matt Haig, der mit diesem Roman nur allzu gut die emotionale Komponente des Bedauerns ungelebter Leben thematisiert.
Denn als sich Nora, geplagt von den Konsequenzen ihrer Entscheidungen, das Leben nimmt, findet sie sich in einer Bibliothek wieder, die ein Archiv all ihrer Entscheidungen ist. Beschenkt mit der einmaligen Gelegenheit, diese Entscheidungen zu revidieren, begibt sie sich auf die Suche nach ihrem Glück. Je länger man sie durch all die ungelebten Leben begleitet, desto mehr fühlt es sich so an, als würde man sich selbst auf einer Reise befinden. Nicht etwa mit dem Ziel, Antworten zu finden, sondern vielmehr, die richtigen Fragen zu stellen.
Es überrascht mich nicht, dass er mit diesem Roman den Goodreads-Choice-Award gewonnen hat. Matt Haig hat es geschafft, mit diesem Buch eine Erkenntnis zu vermitteln, die zugleich schmerzt und besänftigt. Denn obschon die Geschichte Noras vom Bedauern handelt, so ist es dennoch die Relativität dieses Bedauerns, die dem Leben wiederum seine Schönheit verleiht. Weil man trotz allem dort ist, wo man sein soll.
«Die Mitternachtsbibliothek» umfasst 320 Seiten und wiegt 224 Gramm.
Tatjana Jäger freut sich, wenn ein Buch sie kurzzeitig sprachlos macht.