Heisse Köpfe und kühles Bier

Heisse Köpfe und kühles Bier

Das PappKwiss im Salzhaus trifft einen Nerv. Das Coucou war dabei, als anfangs Februar 35 Teams um den Pappe-Pokal kämpften.

«Die Verben sind blau, gelb waren imfall die Adjektive!», schreit ein Mann. Aus der anderen Ecke ruft jemand: «Wir haben ja Bruno Stefanini geschrieben, das stimmt!» Eine Glasflasche zerklirrt. Shugi, einer der beiden Spielleiter, ringt verzweifelt die Hände. Dann schnappt er sich das Mikrofon: «Ja, wir haben es verkackt. Für alle, bei denen wir die Punkte nicht richtig gezählt haben, tut es uns leid! Aber die Rangliste bleibt!» Gespielte Entrüstung beim Team Lügenpresse, «PappBschiss statt PappKwiss solltet ihr heissen!», ruft Dario und lacht. Hätten die Veranstaltenden richtig gezählt, wären die vier jungen Journalismus-Studierenden Zweite geworden. Es dauert aber kein weiteres Bier und die Fehlplatzierung ist vergessen.

Das PappKwiss im Salzhaus startete vor vier Jahren als Abend mit mehreren Spieltischen, damals noch unter dem Namen «Kasino Kuni» – benannt nach Patrick «Kuni» Wiederkehr, dem Urgestein und selbsternannten Maskottchen des Freiwilligen-Teams im Salzhaus. Schnell merkten die Organisator*innen: Der Tisch mit dem Quiz ist der beliebteste. Also verabschiedeten sie sich von den anderen Spielformaten und konzentrierten sich fortan auf das Pub-Quiz, angelehnt an das Vorbild aus England. Mit Erfolg. Im Februar fand der Spielabend zum dritten Mal unter dem neuen Namen «Kunis PappKwiss» und zum ersten Mal im grossen Saal des Salzhauses statt. 35 Teams à vier bis fünf Personen hatten sich angemeldet, die Veranstaltung war schon im Vorfeld ausverkauft. «Wir sind überrascht, wie schnell das Quiz gewachsen ist», sagt Spielleiter Kuni. «Als wir mit dem ‹Kasino Kuni› gestartet haben, hätte ich nie gedacht, dass ich einmal vor 250 Leuten stehen werde. Irgendwie haben wir da etwas getüpft.»

Eine Tradition wird zum Trend

Einen Nerv getroffen haben sie tatsächlich: Schon vor der Türöffnung um 20 Uhr sind die ersten Teams vor Ort – auch das Team Lügenpresse. Im Salzhaus beendet das Bar-Team die letzten Vorbereitungen, die Winterthurer Band Awesome Arnold richtet sich für ihren kurzen Auftritt um «10 um 10» ein. Die bunt zusammengewürfelten Tische, Stühle und Sofas sind schnell besetzt, schon um fünf nach acht ist der Raum gut gefüllt. Wer sich an der Bar zuerst ein Bier bestellt hat, kämpft um die letzte Sitzgelegenheit und muss mit den Stehtischen vorliebnehmen. Kurz vor neun stoppt die Hintergrundmusik. Die letzten kommen vom Fumoir zurück – eine Zigi vor dem grossen Quiz musste sein. Shugi greift nach dem Mikrofon und fragt, ob die Spiele beginnen können. «Loslegen!», schallt es aus dem Publikum. Die erste Kategorie erscheint auf der bebilderten Power-Point-Präsentation: Aktuelles & Vergangenes.

Seit 1970 werden in Grossbritannien Pub-Quiz gespielt. Laut einer Studie von «The Publican’s», einem britischen Fachmedium für Barbetriebe, waren sie ursprünglich eine Marketing-Strategie, um etwas gegen die rückläufigen Umsätze in der Gastronomiebranche zu unternehmen: Denn die Quiz am Donnerstagabend lockten ein breiteres Publikum an als der normale Barbetrieb. Mittlerweile gehören die Spiele zu den britischen Pubs wie die Ales, die darin verkauft werden: In 42 Prozent der Lokale werden sie gespielt, das ergibt rund 22’000 Pub-Quiz pro Woche – alleine in Grossbritannien. Das grösste Pub-Quiz der Welt findet einmal jährlich in Birmingham statt, ungefähr 2’700 Menschen nehmen daran teil. Standardisierte Regeln gibt es trotz der wachsenden Beliebtheit nicht. Das klassische Pub-Quiz wird in mehreren Teams, die gegeneinander antreten, gespielt und von einem Quiz-Master geleitet. Es gibt mehrere Runden mit verschiedenen Kategorien. Am Ende gewinnt das Team mit den meisten Punkten.Längst ist die Tradition in andere Länder übergeschwappt – auch in die Schweiz. Im Raum Winterthur hat das PappKwiss eine Nische gefunden. Bis vor wenigen Jahren war es das einzige Pub-Quiz, seit letztem Jahr wird auch in der Türmlibar an der Technikumstrasse gespielt. Allerdings mit weit weniger Teilnehmenden.

Ein ehrenamtliches Werk

Im Saal ist das Quiz in vollem Gange. «Welche Farbe haben die Verben in der schweizerischen Grundschule?» Team Lügenpresse tuschelt. Thierry ermahnt Melanie, nicht zu laut zu sprechen. Die benachbarten Teams könnten die richtige Antwort hören. Man einigt sich auf die folgenschwere Antwort: blau. Etwa in der Mitte des Spiels erhebt Shugi sein Glas mit White Russian und fordert das Publikum auf, es ihm gleichzutun und anzustossen. Denn nun ist es Zeit für die beliebteste Kategorie: Musik. Die Stimme von Google-Translate liest den Songtext von Göläs «Schwan» – auf Englisch. Keine zwei Sekunden verstreichen, und Dario schreibt die richtige Antwort auf den Zettel. In dieser Kategorie ist er unschlagbar. Warum er die Songtexte von Beyoncé, Gölä und Co. in- und auswendig kennt und sie dazu noch simultan in seinem Kopf übersetzten kann, bleibt sein Geheimnis.

Rund 80 Stunden ehrenamtliche Arbeit fliessen in das PappKwiss, orchestriert vom sechsköpfigen Organisationskomitee: planen, aufbauen, dekorieren, korrigieren, die Power-Point-Präsentation erstellen und natürlich die passenden Fragen zusammenstellen. «Es ist schwierig, Fragen zu finden, die gleichzeitig thematisch divers und trotzdem eindeutig verständlich sind», sagt Shugi. Es sei in der Vergangenheit oft vorgekommen, dass dem Publikum die Fragestellung nicht klar gewesen sei, was dann zu mühseligen Diskussionen bei der Rangverleihung geführt habe. Damit das nicht mehr passiert, werden die Fragen neu noch von einer unabhängigen Instanz gegengelesen. Seit dem Rebranding im letzten Sommer kommt noch eine weitere Neuerung hinzu: Um die Zeit fürs Korrigieren zu überbrücken, treten um 22 Uhr Spoken-Word-Artists oder Bands für eine kurze Show-Einlage auf. Auch sie machen das ohne Gage, vor der Rangverkündigung wird aber noch eine Kollekte für die Künstler*innen herumgereicht.

Bald PappKwiss World Tour

Es ist Zeit für «10 um 10»: Awesome Arnold spielen ein kurzes Set. Das Korrektur-Team ist noch tief versunken in seiner Arbeit, als das Konzert fertig ist. Was nun? Die Spielleitung entscheidet, noch etwas Musik laufen zu lassen. Der Stimmung scheint das keinen Abbruch zu tun: Durch den Saal dringen angeregte Gespräche, die Bar ist noch immer gut beschäftigt. Um Viertel vor elf kommen Shugi und Kuni zurück auf die Bühne und geben feierlich die Rangliste bekannt. Team Lügenpresse schafft es nicht aufs Podest. Wie früher in der Schule werden anschliessend die Lösungszettel verteilt und die Teams vergleichen ihre Antworten. Und dann kommt eins zum anderen: Bei mehreren Teams wurden die Punkte nicht richtig zusammengezählt – auch beim Team Lügenpresse. Plötzlich entfesselt der Ehrgeiz der Teams eine Diskussion darüber, welche Farbe denn nun diese Verben haben – richtige Antwort laut den Spielleitenden: gelb.

Noch am gleichen Abend entscheiden die beiden, auf das nächste PappKwiss das Korrektur-System zu ändern. Künftig werden die Zettel rochiert und jeweils von einem anderen Team überprüft. «So können wir direkt auf allfällige Missverständnisse und Fragen aus dem Publikum reagieren. Wenn die Punkte falsch gezählt werden, sollen das die Teams unter sich ausmachen», sagt Shugi mit einem Augenzwinkern. Und die Veranstaltenden können sich wieder auf die Essenz des PappKwiss konzentrieren: die Menschen zusammenzubringen. Vom Nerd, der unheimlich viel weiss, über Studierende bis zu den alternativen Winterthurer*innen, die hauptsächlich wegen des Biers kommen. Über weitere Expansionsmöglichkeiten machen sich Shugi und Kuni ebenfalls schon Gedanken. «Bald heisst es dann PappKwiss World Tour im Hallenstadion!», sagt Shugi und lacht. Das nächste PappKwiss ist aber noch in der bisherigen Form geplant. Es findet am 4. April statt.

 

PappKwiss – Mit Stift und paar Bier

Donnerstag, 4. April, 20 Uhr

Eintritt frei, Anmeldung (max. 5 Personen pro Team)

Salzhaus

Untere Vogelsangstrasse 6

www.salzhaus.ch

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