Die Gründungsgeschichten der vier Musikclubs von Winterthur könnten nicht unterschiedlicher sein: «Furioser Start» oder «Weltexklusiv auf winziger Bühne: Willy DeVille in Winti» lauteten im August 1988 die Schlagzeilen in den Lokalblättern. Der Albani Music Club wurde eröffnet und brachte in seinen legendären Anfängen grosse Namen wie Pearl Jam, Randy Newman oder Sheryl Crow in die Eulachstadt. Das Gaswerk dagegen verstand sich um 1996 als Politikum. Die Jugendlobby «Kaktus» besetzte damals den Ratssaal, um auf ihre Forderung nach einem alternativen Kulturzentrum aufmerksam zu machen. Die Stadt überliess dem Verein in der Folge das Gaswerk an der Unteren Schöntalstrasse in Töss, in dessen Räumen ein Konzertlokal mit Ateliers, Proberäume für Theaterschaffende und dem Programmkino Nische entstand.
Währenddessen suchten Mitte der Neunziger sieben Freunde aus dem Umfeld des Plattenladens MusicBox einen Raum, wo sie sich ungestört treffen und Musik hören konnten. Sie mieteten sich im Salzlager am Hauptbahnhof ein und veranstalteten bald darauf als GmbH erste öffentliche Partys. Das Salzhaus verstand sich von Beginn weg als kommerziell orientierter Club und setzte auf Acid Jazz und Funk, Partys und Bands, denen die Bühne im Albani zu klein war. Zeitgleich, im Jahr 1996, richteten sich innovative Köpfe aus der alternativen Szene eine Oase auf dem brach liegenden Sulzerareal ein. Die kleine Bar namens Kraftfeld etablierte sich rasch als Treffpunkt einer familiären Szene und war beliebt für seine Kleinkusntanlässe mit Theateraufführungen, Modeschauen und onnovativen Konzerten oder Themenpartys unter anderem zur Sonnenwende. In der Öffentlichkeit wurde das Kraftfeld allerdings kaum wahrgenommen – seine Identität fand es durch Abgrenzung. Ein Umdenken fand erst 2002 statt, als «das Kraftfeld an dem Punkt war, dass es ohne Subventionen keine Kultur mehr machen konnte», sagt Manuel Lehmann, der ab Sommer 2003 für die Organisation der Konzerte verantwortlich war. Lehmann fragte bei Walter Büchi, dem damaligen Kultursekretär, um finanzielle Unterstützung an und blitzte ab. Das Gaswerk und das Salzhaus halfen dem Kraftfeld dann, die Rechnungen zu begleichen, indem sie ein Mini-Benefizfestival organisierten – ein erster Schritt zur Kooperation.
Zur Zusammenarbeit verknurrt
Zu dem Zeitpunkt wurde nur das Albani järhlich von der Stadt mit 100'000 Franken unterstützt. Dem Gaswerk wurde die Miete von 60'000 Franken erlassen. Das Salzhaus erhielt 30'000 Franken Projektunterstützung und diverse Beiträge von Stiftungen. 2003 entschied die Stadt dann, die 200'000 Franken, die man zur Förderung der Livemusik-Kultur zur Verfügung stellte, unter allen vier Clubs aufzuteieln. Die Kultur- und die Volkartstiftung steuerten noch wietere 100'000 Franken bei. Wer wie viel erhält. sollten die vier Clubs selbst untereinander ausmachen. «Die Idee eines Zusammenschlusses entstand im Hinblick auf die neuen Subventionsverträge ab Januar 2006», sagt Nicole Kurmann, Bereichsleiterin Kultur der Stadt Winterthur, auf Anfrage. Die Idee war nicht neu: «Auch der Musikverband übernimmt als Dachverband die Verteilung des Subventionsbeitrags an die angeschlossenen Vereine. Zudem hatte man sich erhofft, dass die Clubs zusammen mehr Kraft entwickeln, also eine stärkere Aussenwirkung erhalten und Werbeflächen sowie Infrastruktur gemeinsam nutzen könnten.»
Der Forderung der Stadt kamen die vier Konzertlokale nach – wenn auch etwas widerwillig – und gründeten vor zehn Jahren den Verein «Live Musik Kultur» (LMK – später OnThur). «Es gab einige interne Diskussionen im Gaswerk», erinnert sich Kilian Schmid, Mitgründer des Gaswerks. «Wir hatten halt eine andere Philosophie als die anderen und arbeiteten unentgeltlich.» Die verschiedenen Einstellungen der Clubs würden es noch heute ab und zu erschweren, einen Konsens zu finden, sagt Yvonne Dünki, Programmmacherin im Gaswerk. «Aber genau die Diskussionen haben auch das Verständnis für die anderen gefördert und uns zusammengeschweisst.»
Die Ausgangslage für einen gerechten Verteilschlüssel schien nahezu unmöglich. Das Albani war in einer ganz anderen Position als die anderen Lokale: Vorher wurde es mit 100'000 Franken pro Jahr unterstützt, nun erhielt es duch den Zusammenschluss deutlich weniger. «Das schmerzte natürlich. Aber das Verständnis war da, dass die anderen Geld brauchen», sagt Martin Kaiser heute, der von 1988 bis 2003 Programmmacher im legendären Rockclub war. «Am Schluss warfen wir alle komplizierten Rechnungen über den Haufen und entschieden uns für je 30 Prozent für das Albani, das Salzhaus und das Gaswerk – das Kraftfeld erhielt 10 Prozent», erinnert sich Daniel Halter, der damals fürs Salzhaus im Vereinsvorstand des OnThur war. «Der positivste Effekt war, dass wir uns kennengelernt und zusammen mehr Gewicht haben», sagt er. Ein Generationenwechsel führte dazu, dass der Schlüssel 2005 nochmals angepasst wurde: «Alle erhalten inzwischen gleich viel, also einen Viertel», sagt Sam Frey, der seit 2005 Programmmacher im Albani ist.
«Wir wollen zur kulturellen Vielfalt beitragen»
«Einen gerechten Verteilschlüssel zu definieren, war eine Zerreisprobe für den Verein», sagt Frey. «Aber es ist gut, dass wir selbst, und nicht die Stadt, bestimmen können, wer wie viel erhält.» Zudem findet er die Zusammenarbeit super: «Wir verstehen uns gut und pflegen einen engen Kontakt. Wir sprechen uns beim Programm so weit es geht ab, haben eine gemeinsame Website und eine App.» Giancarlo Corti, seit 2013 Kraftfeld-Delegierter im OnThur-Vorstand, findet den Austausch vor allem auch sinnvoll, «weil man hört, wie die anderen Probleme lösen.» Was sicher auch zur guten Stimmung unter den Clubs beitrage sei, dass man sich gegenseitig kennt. «Ich war 14 Jahre alt, als das Salzhaus, das Gaswerk und das Kraftfeld gegründet wurden, und kenne die Stadt nicht ohne die Clubs.» Er gehört wie Laura Bösiger, seit 2014 Geschäftsführerin des Salzhauses, zur neuen Generation des OnThurs. Bösiger schätzt die Zusammenarbeit ebenfalls sehr, die in dieser Form in der Schweiz aussergewöhnlich ist: «Jeder funktioniert zwar für sich selbst, aber wir wollen alle zur kulturellen Vielfalt in Winterthur beitragen und etwas für die Menschen in dieser Stadt machen.» Die gemeinsame Arbeit sei nur punktuell sichtbar: gemeinsame Werbemittel und die Abstimmung im Programm, die OnThur-Bar an den Musikfestwochen oder an der 3. Halbzeit der FCW-Matches.
Tendenz zur Zusammenarbeit
Dass sich die Zusammenarbeit in den zehn Jahren des Vereins OnThur verändert hat, ist auch Kultursekretärin Kurmann aufgefallen. «Als ich 2007 mein Amt antrat, merkte ich, dass die vier Musikclubs sich noch etwas sträubten, zu kooperieren und die Unterschiede stärker betont wurden. Innerhalb der letzten paar Jahre hat das aber gedreht», sagt sie. «Politisch ist zudem die Tendenz da, dass man auf allen Ebenen prüft, wo Zusammenschlüsse sinnvoll sind und versucht, die Institutionen gemeinsam zu unterstützen.» Die Integration der Villa Flora in den Kunstverein ist ein solches Beispiel. Und auch aus den Kreisen der Kulturlobby werde gegenüber der Stadt gefordert, dass man den Institutionen mehr Eigenverantwortung abgeben solle. Zusammengearbeitet wird in der Stadt zudem nicht nur beim OnThur. Beispiele wie der Kulturherbst, die Kleinkunstrallye, das Theater Winterthur und das Musikkollegium gibt es viele.
Zusammen werde man auch besser wahrgenommen, sagt Kurmann. «Der Verein OnThur ist ein gelungenes Beispiel für gute Zusammenarbeit zwischen scheinbaren Konkurrenten und zeigt, dass die inhaltliche Abstimmung, die gemeinsame Kommunikation und das koordinierte Auftreten gegenüber der öffentlichen Hand zu einem Gewinn sowohl für die beteiligten Kulturlokale als auch für das Publikum führen», schrieb beispielsweise auch die Fachstelle für Kultur des Kantons Zürich in ihrem Jahresbericht 2011. Aus dem Lotteriefonds werden die Clubs seit 2010 jährlich mit 50'000 Franken unterstützt.
Netzwerk stärkt Winterthur als Musikstadt
Während die Livemusik in Winterthur als Standortfaktor von der Stadt vermarktet werden, «geht dabei vergessen, dass ein Musikclub auch Nebenerscheinungen mit sich bringt», bemerkt Frey vom Albani. Weil die Clubs Partys veranstalten, können sie Konzerte quersubventionieren. Die Aspekte Lärm und Abfall, die eine Party mit sich bringen, werden aber von der Gewerbespolizei nicht toleriert. Auch Laura Bösiger vom Salzhaus sieht einen Widerspruch bei den Zielen der Stadt, wenn die Lifestyle-Kultur in den Clubs nur bis um 2 Uhr morgens toleriert werde: «Wenn sich Winterthur als Kultur- und Bildungsstadt profilieren will, müssen auch angemessene Rahmenbedingungen geschaffen werden.» Auch Kurmann sieht das Spannungsverhältnis, welches das Nachtleben mit sich bringt. «Es ist schwierig, einen guten Mittelweg zu finden. Wir versuchen aber zwischen den einzelnen Stellen zu vermitteln. Wir betrachten das aber auch als eine Frage, die mit den Polizeistellen in einem Gesamtkonzept für Freizeitkultur zu diskutieren ist.» Ob Winterthur nun zur Studentenstadt mit Grossstadtflair wird oder zur Familienstadt mit Dorfcharakter, wird sich zeigen. Solange in der Stadt aber zusammengearbeitet wird, hat vor allem die Kultur schon halb gewonnen.