Wer nach dem Oberen Graben einige Schritte weiter nach Westen geht, wird von bunten Zeilenhäusern begrüsst, die seit jeher den Charakter der Neustadtgasse und der Tösstalstrasse prägen. Wie vielseitig dieser Teil der Altstadt ist, lässt sich anhand der Mischung der Gebäude erkennen, die hier erbaut wurden. So zieren zum Beispiel das kleinste Haus Winterthurs und die rote Backsteinfassade der Badewannen-Moschee an der Badgasse das Bild des 1000 Jahre alten Stadtteils. Man kommt am «Africana» vorbei, wo in den 1960er-Jahren die Röcker, später Spieler und Prostituierte verkehrten. Oder an der Gisi, das Haus, das seit über 20 Jahre besetzt ist und manchmal abends eine Küche für Alle organisiert. Wer durch die Neustadt spaziert, findet immer wieder Gelegenheiten anzuhalten, Neues zu entdecken und zu verweilen.
Die Gespräche der Menschen, die im La Cyma oder im Dimensione ihren Kaffee trinken, mischen sich mit dem regelmässigen Schlag eines Hammers. Die Werkstatt des Bildhauers ist nur eine von vielen, welche man beim Schlendern durch das Quartier passiert. In der Neustadtgasse wird getöpfert, gemalt, gedrechselt und genäht. Die Gassen in der Neustadt haben ihren anrüchigen Ruf längst abgestossen und sich zu einem charmanten Quartier gemausert, in welchem die vielen kleinen Geschäfte genau so ihren Platz gefunden haben, wie die Bar, der Tätowierer, die Buchbinderei, die Töpferei, die Schneiderei oder der Gitarrenbauer.
Am 26. August wird das Hämmern für einen Tag lang nicht nur in der Werkstatt, sondern direkt auf der Gasse selbst erklingen. Denn wo vor 41 Jahren zum ersten Mal die Winterthurer Musikfestwochen stattfanden, feiert diesen Sommer das Neustadtfest seine Premiere. Selbst wenn das Lokal Africana, in welchem 1976 die ersten Konzerte des Altstadt-Festivals gespielt wurden, aus der Gasse verschwunden ist, wird es auch bei diesem Fest Bands geben, die für eine musikalische Untermalung sorgen. Die Bands Currawong, Deathrope und Awesome Arnold werden die Neustadtgasse von 16 bis 20 Uhr mit ihrer Musik erfüllen.
Selber ausprobieren
Das Neustadtfest soll jedoch nicht nur ein Fest der Musik, sondern auch ein Fest der Kultur im Allgemeinen sein. Die Geschäfte sowie Anwohnerinnen und Anwohner der Neustadtgasse, der Badgasse und der oberen Tösstalstrasse wollen deshalb ihr Handwerk nicht einfach nur vorführen – die Besucherinnen und Besucher sollen auch die Möglichkeit haben, die in der Gasse ausgeübten Tätigkeiten selbst auszuprobieren.
Für einmal können sie selber nähen, bildhauen, töpfern oder malen und so an der Kreativität dieses Quartiers teilhaben. Diejenigen, die lieber beobachten als selbst den Hammer in die Hand zu nehmen, können der Keramikerin Katharina Spörri beispielsweise dabei zusehen, wie sie auf der Töpferscheibe aus einem (anfangs) unförmigen Klumpen Ton eine Schale formt. Das kehlige Geräusch wird zu hören sein, wenn der Tonballen kraftvoll auf der Scheibe aufschlägt. Anschliessend wird er geduldig in die Mitte gebracht, bevor er dann abermals abwechselnd zu einem Kegel und wieder zu einem mohrenkopfähnlichen Gebilde geformt wird. Bis er, auf der sich nun etwas langsamer drehenden Scheibe, zu einem Zylinder in die Höhe wächst, um sodann von der sicheren Hand Katharina Spörris in die Form einer Schale geführt zu werden. Das Schaudrehen ist dabei nur eine von vielen Möglichkeiten mitzuerleben, wie aus einem rohen Material Kunst entsteht.
Bei Jael Signer können sowohl Erwachsene wie auch Kinder selber Stoffe schneiden und diese mit Nadel und Faden neu zusammenbringen. Vielleicht entsteht dabei eine Fähnchen-Dekoration, die noch während dem Fest in der Gasse angebracht werden kann und sich so wie ein farbiger Faden durch das Quartier zieht.
An diesem Fest soll niemand zu kurz kommen, weshalb die Kinder vor dem Gitarrenladen Backstage die Möglichkeit haben, sich einmal selber wie Musikerinnen und Musiker zu fühlen. Mit der Gitarre in der Hand dürfen sie Songs improvisieren oder einfach ein paar Akkorde spielen und so ihre musikalische Seite entdecken. Möglicherweise ergibt sich bei dieser Gelegenheit die eine oder andere interessante Session mit Familienmitgliedern, Freunden oder vielleicht auch mit Fremden.
Erstes offizielles Bobby Car Rennen
Am anderen Ende der Neustadtgasse können Kinder und Junggebliebene am ersten offiziellen Bobby Car Rennen von Winterthur teilnehmen. Nicht nur das Fahren, auch das Anfeuern der Rennwägen kann anstrengend sein. Wer also eine Pause oder eine Stärkung braucht, kann sich wenige Meter weiter mit einer Wurst vom Grill verpflegen lassen. In der Vinothek Gran Reserva können sich Weinliebhaber und Neugierige durch verschiedenste gute Tropfen degustieren und anschliessend auf der anderen Strassenseite bei einem Apéro das 15-jährige Bestehen des Kaufkaffees feiern.
Das Neustadtfest bietet auch Gelegenheit, ein paar Eulachtaler auszugeben, denn in einer gewissen Weise findet sich der Grundgedanke dieser alternativen Währung auch im Fest wieder. Es geht unter anderem darum, die Menschen mit einer Währung in Form von Gutscheinen wieder mehr auf das lokale Gewerbe aufmerksam zu machen. Dennoch soll das Neustadtgassfest kein kommerzieller Anlass sein, sondern eine Einladung zu einem gemütlichen Beisammensein, ein Sommerabschlussfest, wenn man es so nennen will. Die Organisatorinnen und Organisatoren erhoffen sich auch, diesen Anlass zu einer alljährlichen Tradition werden lassen zu können.
Neustadtfest
Samstag, 26. August
15 bis 22 Uhr, Eintritt frei
Anschliessend Konzerte in der Gisi