Woran glaubst du?

Der Winterthurer Tobias Bienz bringt in seinem Theaterprojekt «Baushtellë: Balkan Temple» dreissig junge Menschen aus dem Kosovo, Serbien und der Schweiz zusammen.

«Bumm», «Brrrrrrttschgg», «Pscheeeeeeiuuuuw» – Tobias Bienz mag Geräusche. Und er mag Gedanken, grosse Ideen, Bewegungen und Gestiken. Dass er oft alles gleichzeitig braucht um sich auszudrücken, passt zum Projekt des Winterthurers – denn es geht um nichts Geringeres als die grosse und zugleich naive, aber deshalb nicht minder schwierige Frage: «Woran glaubst du?» Dreissig Künstlerinnen und Künstler aus der Schweiz, aus Kosovo und Serbien setzen sich im Projekt «Baushtellë: Balkan Temple» in einer zehnwöchigen Tour durch die drei Länder mit dieser Frage auseinander. Sie proben zusammen, reisen zusammen, leben zusammen, doch soll sich dabei jeder auf seine ganz eigene Weise mit dem Thema auseinandersetzen. Die Ergebnisse davon werden schliesslich in Pristina, Belgrad und Zürich in einer sechsstündigen Performance vorgestellt. Das Projekt dauert von Mittel Juli bis Mitte September.

Fotografinnen, Poeten, Musikerinnen, Schau-spieler, Lichtkünstlerinnen, Juristen, Soziologinnen, Wirtschaftsleute –  die Gruppe an jungen Menschen, die da was auf die Beine stellt, soll vielfältig sein. Was
dabei herauskommt? «Ich habe abslut keine Ahnung», sagt Tobias Bienz und lächelt verschmitzt. Die ein-zelnen Darbietungen sollen sich vereinen und zu einer «riesigen, bombastischen Performance verschmelzen«, sagt Bienz. «So Bääääm». Das Projekt soll eine Platt-form sein, ein Spielkasten, ein Ort der Entfaltung. Und ein wenig klingt das alles auch nach Selbstfindung: «Was auch immer für Antworten kommen werden – sie werden persönlich, wahr und vielfältig sein», sagt der 27-jährige Musiker und Theatermacher, während er gerade vor der Rio Bar in Zürich sitzt und mit Bier in der Hand sinnierend auf die Sihl hinaus blickt. Kurze Zeit ist er in der Schweiz, spielt mit seiner Band an einem Fest, bevor es wieder in den Balkan geht. Es gilt, die dreissig Künstlerinnen und Künstler auszuwählen.

 

Pristina, meine Liebe

Das Projekt findet offenbar Anklang: Über 150 Bewerbungen pro Stadt gingen ein, um bei «Baushtellë: Balkan Temple» mitzumachen. Dieses Interesse hat auch damit zu tun, dass die Macher des Projekts in
der Region bereits zuvor schon auffielen: 2012 stellten sie «PRISHTINË – mon amour» auf die Beine, eine Kunstperformance in der Betonruine der ausgebrannten Sportarena Ex-Boro-Ramiz in Pristina. Über 2000 Menschen kamen und auch die mediale Resonanz  war gross. So gross, dass selbst die «New York Times» darauf aufmerksam wurde.

Die Betonruine von Ex-Boro-Ramiz stand für das Ziel: «Wir wollten diesen Ort mit Leben füllen,
das Recht auf Leben gemeinsam proklamieren. Und dafür muss man nicht an schöne Orte gehen, sondern an solche, die schlechte Gefühle provozieren. Wir wollten zeigen: Schaut her, das sind wir. Das ist Beton. Das ist Mensch.» Das Projekt habe mitgeholfen, das Leben in Pristina mit anderen Facetten zu zeigen. In der jungen Szene im Kosovo bewirkte das Projekt etwas, gab Energie. «Es kam ein Wir-Gefühl auf», wie Tobias Bienz es ausdrückt. So gab es unter anderem jeden Montag ein Meeting aller Teilnehmenden, wo sie ihre Projekt-Vorschläge präsentieren konnten, welche im Plenum diskutiert und abgesegnet wurden. «Baushtellë – Mon­day» hiessen diese Meetings. So gesehen kann das neue Projekt «Baushtellë» durchaus als Nachfolgeprojekt gelten, auch wenn inzwischen ein paar Jahre vergangen sind.

So sehr das Projekt 2012 Positives auslöste, so sehr war es für Tobias Bienz auch verbunden mit schlechten Erfahrungen. Er spricht von einer persönlichen Enttäuschung, von einem Vertrauensbruch, welche mit einem der damaligen Projektpartner zu tun haben. Aber auch von persönlichen Irrungen und Wirrungen: «Ich hatte zu viele Knoten in meinem Kopf. Weisst du, so ...». Bienz verknotet die Arme, lässt sie kreisen. Eineinhalb Jahre war er danach nicht mehr in Pristina, er brauchte Abstand. Doch dann ging er wieder, und es machte «Zäck» und Tobias Bienz, der Getriebene, rauschte wieder los.

 

(K)ein politisches Projekt

Tobias Bienz’ Natel klingelt. «Hallo. Wo bist du gerade? ..... Ok, dann komm ich am Samstag nach Pristina!» – Es ist Rina Kika, seine Freundin und Co-Projektleiterin. Die Rechtsanwältin aus Kosovo hat viel mit dem Zugang zu tun, welchen Tobias Bienz zum Land hat. Gemeinsam realisierten sie bereits «PRISHTINË – mon amour», gemeinsam errichten sie nun auch die «Baushtellë». Das Duo wird in der Projektleitung komplettiert mit Arbër Salihu aus Pristina, Dragan Simeunovic und Sandra Tomic aus Belgrad, Jeffrey Wolf aus Zürich und Sebastian Henn aus Winterthur.

Bereits bei «PRISHTINË – mon amour» waren sowohl serbische als auch kosovarische Künstler involviert. Diesmal wird dieser Aspekt mit Aufführungen in Pristina wie auch in Belgrad noch ausführlicher: Über mehrere Wochen werden junge serbische und kosovarische Künstler auf engstem Raum gemeinsam das Kunstprojekt ausarbeiten und realisieren. Das ist seit dem Krieg eine spezielle Zusammenarbeit und alles andere als courant normal. Doch Tobias Bienz möchte die politische Dimension nicht im Vordergrund wissen. «Denn es macht das Ganze irgendwie klein». Das Projekt sei nicht Politik, sondern Leben. Es gehe um die Künstler, ihre individuelle Auseinandersetzung mit der Glaubensfrage, ihr gemeinsames Erarbeiten der Performance.

Dennoch: Die Auswahl der Städte Pristina und Belgrad ist per se ein politisches Statement. «Natürlich, das schwingt immer mit», sagt auch Bienz. «Wir machen hier ein gemeinsames Projekt, während rundherum die nationalistischen Strömungen wieder am erstarken sind.» Beim ersten Kunstprojekt 2012 im Kosovo mussten für die serbischen Künstlerinnen und Künstler Securitys engagiert werden. Die Situation heute ist zwar weniger angespannt, aber einfacher wird es nicht. Nur schon die Organisation wird diesbezüglich auf den Prüfstand gestellt: Die Künstlerinnen und Künstler aus Serbien in den Kosovo zu bringen und umgekehrt ist kompliziert. Dass bei diesem engen Beisammensein zudem auch Spannungen entstehen können, liegt ebenfalls auf der Hand.

  

Menschen sind Menschen 

«Das eigentlich Politische an dem Projekt ist, dass wir sagen: Wir sind alle gleich! Tadaaaa!», sagt Bienz und breitet seine Arme aus. «Das ist vielleicht ein naiver Ansatz, aber die Aussage ist auch radikal. Wir wollen erfahren und erfahrbar machen, dass Menschen einfach Menschen sind.»

Tobias Bienz und seine Projektleitung setzten diese Naivität und Radikalität um, indem sie die jungen Menschen einfach fragten, woran sie glauben, was ihre Träume, ihre Gedanken sind, in was für Wertesystemen wir uns bewegen und woher diese kommen. «Woran glaubst du?» ist grundsätzlich einmal eine individuali-stische Frage. Und sie hat nur bedingt mit Religion zu tun, sondern mit Glauben. Tobias Bienz, selbst Atheist, möchte die Frage als Ausgangspunkt für eine Antwort verstehen, die selbst ein Prozess ist: Durch das gemeinsame Erarbeiten der individuellen Glaubensfrage entstehe das Gemeinsame: «Und schon wird gleichzeitiges Leben zu gemeinsamen Leben.»

Die Performance lebe vom Widerspruch zwischen einem Menschen und der Gesellschaft, die ihn umgibt. Zwischen westlicher Kultur und Philosophie, helvetischem, albanischem und serbischem Nationalismus und patriarchalen Strukturen, ökonomischen Zwängen und gesellschaftlichen Normen. Zwischen Islam, Christentum, Orthdodoxer Kirche, Freikirchen und Atheismus. Zwischen einem scheinbaren Ort des Friedens und Menschen, die einen erbitterten Bürgerkrieg führten. «Zwischen unseren Körpern und dem Beton.»

Ein Mann der kleinen Worte ist Tobias Bienz nicht. Aber einer der Taten. Was genau am Ende der Baustelle wartet, weiss zwar der Baustellen-Leiter noch am allerwenigsten, aber das ist Konzept. Grosse Fragen brauchen Freiheit. Und Geräusche.

Wie Winterthur zu seinen Bieren Kam
Wie Winterthur zu seinen Bieren Kam
Hintergrund

Haldengut war lange das einzige Winterthurer Bier – heute wird in der Stadt eine Fülle an Craft-Bieren gebraut. Das ist unter anderem einem Getränkeladen an der Steinberggasse und lokalen…

Ein Stück Alltag in der neuen Heimat
Ein Stück Alltag in der neuen Heimat
Hintergrund

Deutschintensiv-Kurse, Tandempartner*innen, Integrationsbegleitungen, Sprachtreffs: Wo staatliche Massnahmen zur Integration und Möglichkeiten für Menschen mit Fluchterfahrung fehlen, springen…

Licht und Schatten der 80er-Jahre
Licht und Schatten der 80er-Jahre
Hintergrund

Die Winterthurer Ereignisse haben Spuren in den Leben der Beteiligten von damals hinterlassen und prägen diese teils bis heute. Auch die Stadt Winterthur begann sich zu verändern, durch äussere…

Das Erschaffen einer gemeinsamen Realität
Das Erschaffen einer gemeinsamen Realität
Hintergrund

«Reality Check! Arbeit, Migration, Geschichte(n)» heisst die aktuelle Ausstellung im Museum Schaffen. Das auf Arbeitsgeschichte ausgerichtete Museum am Lagerplatz thematisiert darin die Verflechtung…