Pure life begins now

Pure life begins now

Die Brüder Markus und Reto Huber untersuchen in einer raumgreifenden Installation im Kunsthaus Zofingen die Rolle des Menschen und seinen Umgang mit immer knapper werdenden Wasserressourcen. Hierfür stellt das Künstlerduo weltliche Versprechungen den biblischen gegenüber und nimmt mit filmischen Zitaten aus dem Klassiker «2001: A Space Odyssey» von Stanley Kubrik Bezug auf diese Situation. Eva Vögtli hat mit huber.huber über ihre aktuelle Ausstellung «Odyssee» gesprochen.

1. Versprechen

 

EV: In der Ausstellung «Odyssee», die im

Kunsthaus Zofingen voraussichtlich bis am

21. März zu sehen ist, greift ihr den Nestlé-

Slogan «pure life begins now» auf. Er

strahlt in Neon-Leuchtschrift von einer

weissen Wand. Auch zeigt ihr Installationen

aus PET-Flaschen, um  die Wasser-

knappheit und allgemein den Umgang mit

lebensnotwendigen natürlichen Ressourcen

zu thematisieren. Ist eure Kunst ein

politisches Statement?

 MH: Uns geht es um den Umgang des Menschen mit der Natur und mit seinesgleichen. Das ist zwangsläufig politisches Terrain. Uns ist aber bewusst, dass wir die Menschheit nicht mit Kunst ändern können. Wir laden die Betrachtenden auf mehreren Ebenen dazu ein, unserem Gedankengang zu folgen und unsere Geschichten zu lesen. Der Slogan «pure life begins now» ist an sich ein schöner Satz. Doch stellt sich bei genauerer Betrachtung die Frage, was denn dieses «pure life» sein soll. Wer soll und kann ein reines Leben haben? Wer hat keinen Zugang zu Trinkwasser und warum ist das so? Was sind die Absichten von Nestlé, dem Urheber dieses Werbeslogans?

 

EV: Ihr bezieht euch in euren Arbeiten

des Öfteren auf biblische Zitate. Die

sogenannten Regenbogenmaschinen in

der Ausstellung «Odyssee» verweisen

auf die biblische Erzählung von Gottes

Bund mit Noah, in der Gott einen

Regenbogen in die Wolken setzt, als

Zeichen, dass niemals mehr eine Flut

die Erde und alle Lebewesen vernichtet.

Inwiefern stehen die Regenbogen

mit dem Werbeslogan von Nestlé in

Verbindung?

MH: Die Regenbogen sowie der Werbeslogan formulieren ein Versprechen. Eine Gefahr besteht darin, diesem Versprechen naiv zu glauben. Man scheint zu glauben, keine Sorge zur Umwelt tragen zu müssen, da irgendeine höhere Macht es dann schon richten wird. Die Passivität und das träge Handeln der Gesellschaft in Bezug auf die Klimaveränderung macht uns aber ratlos und es macht uns auch Angst.


RH: Bei der Religion geht es uns aber nicht um eine Kritik, sondern um die Frage, weshalb Menschen glauben und sich beispielsweise an solche Versprechen klammern. Wir finden, dass es in der Bibel sehr viele spannende, bildstarke Geschichten gibt, die verschieden interpretiert werden können und zum Teil heute noch ihre Gültigkeit haben. Es geht um Ethik, Werte und die Urängste der Menschheit.

 

EV: Nicht nur Religion, auch Esoterik ist

ein Thema in eurem Werk. Ihr stellt zum

Beispiel Achate aus. In der New-Age-

Bewegung wurden diese Steine als

Superheiler angepriesen, die angeblich

gegen viele körperliche Schmerzen

und Unwohlsein helfen. 

MH: Das Spannende an der Bibel wie an der Esoterik ist die völlig unwissenschaftliche Komponente. Wir wollen das nicht ins Lächerliche ziehen. Wir nehmen das Phänomen wahr, dass Menschen Kraft aus dem Glauben an Übernatürliches schöpfen, und versuchen, daraus Schlüsse zu ziehen. Ich glaube, der Mensch sucht nach simplen Ritualen in dieser komplexen und furchteinflössenden Welt, in der vieles schwer begreifbar ist. Wenn ein in Wasser gelegter Stein Heilung verspricht, ist das eine simple Handlungsanweisung, die grosse Wirkung verspricht. Ich persönlich glaube nicht daran, aber ich sage nicht, dass nur das, was wissenschaftlich begründet ist, wahr ist. In der Esoterik geht es häufig um Berührungen oder darum, sich füreinander Zeit zu nehmen. Das kann wirkungsvoll sein.

 

EV: Durch scheinbar simple Handlungen etwas bewirken zu können – besteht hier eine Verbindung zu eurem Kunstschaffen? Ihr stellt Werke in einen Raum, die seine Atmosphäre beeinflussen und die Betrachtenden zum Nachdenken anregen?

 MH: Ja. Ich denke, es wäre falsch zu glauben, Kunst sei ein Luxus, auf den man verzichten könne. Wir beide leben mit Kunst, wir sammeln Kunst und sind zuhause von Kunst umgeben. Kunst ist auch Nahrung und ein wichtiger Pfeiler der Gesellschaft. Wenn die Kunst völlig fehlt, ist das verheerend. Kunst hat auch mit Gesundheit zu tun. In der Kunsttherapie ist durch das Gestalten und das Anschauen von Gestaltetem ein Denken ohne Worte möglich. Natürlich gibt es auch Menschen, die keinen Zugang zur Kunst finden.

 

2. A Space Odyssey

 

EV: In der Ausstellung «Odyssee» schafft ihr

Bezüge zu Stanley Kubricks Filmklassiker

«2001: A Space Odyssey», etwa durch einen von

der Decke hängenden Knochen oder den

Monolith im Obergeschoss – wie kam diese

Verbindung zustande?  

MH: Der Film «2001: A Space Odyssey» greift viele aktuelle Themen auf: Er beginnt mit einer Szene, in der sich Urmenschen neben einer Wasserquelle um diese lebensnotwendige Ressource streiten – und zeigt den ersten Mord aufgrund von Wasser. Im weiteren Verlauf wird nach möglichen Ersatzwelten gesucht. Zentral ist die Bildsprache, es gibt wenige Dialoge im Film ...  

RH: ... was ja auch in der bildenden Kunst das Schöne ist; sie kann durch Bilder Behauptungen aufstellen, die verschieden lesbar sind. Die Ausstellung «Odyssee» ist auch für Personen verständlich, die den Film nicht gesehen haben. So wie auch die Regenbögen der Regenbogenmaschinen faszinierend bleiben, auch wenn man die Erzählung von der Arche Noah nicht kennt. Die Wassertanks, die auf den Hellraumprojektoren stehen, zeigen ein physikalisches Prinzip, bei dem Licht in seine verschiedenen Farben gespalten wird. Hinzu kommt die Ebene des Künstlichen: Regenbogen werden durch Maschinen erzeugt. Das Naturphänomen wird rekonstruiert.

MH: Wir hätten die Hellraumprojektoren auch kaschieren können. Wir wollten jedoch aufzeigen, wie die Installation funktioniert, woher der Strom und das Licht kommen. Dasselbe beim Monolith: Man sieht die Elektronik, die diese Installation am Laufen hält – den technischen Aspekt, der den Menschen repräsentiert.

3. Sein und Schein

 

EV: Euer Werk «Homo Sapiens», eine Fotografie,

die zurzeit eine Wand der Johanneskirche

in Zürich ziert, zeigt eine Lagune im Grünen.

Durch die vielen sich darin tummelnden

Bade-Tourist*innen wirkt der Ort jedoch nicht

mehr ganz so idyllisch. 

MH: Wenn man das Bild genau anschaut, sieht man, dass die meisten Menschen ein Handy in der Hand haben und ein Selfie schiessen. Alles dreht sich um das Ego der Menschen, die Selbstinszenierung. Das Bild hat etwas Absurdes an sich. Wir wurden mehrmals gefragt, ob es sich um eine Collage handle oder ob wir Statisten engagiert hätten, was nicht der Fall war. Da sich das Bild in einer Kirche befindet, stellt sich die Frage, wann etwas paradiesisch ist.

 

EV: Als erfolgreiches Künstlerduo stellt ihr

eure Werke national und international aus,

es gibt Vernissagen und ihr gebt Interviews.

Seht ihr euch auch manchmal mit dem

Vorwurf der Selbstinszenierung konfrontiert? 

MH: Wir versuchen, uns als Privatpersonen möglichst zurückzunehmen. Wir würden zum Beispiel nie Performances machen. Denn dort ist man wirklich ein Teil der Kunst.


RH: Es passiert auch immer wieder, dass wir Menschen mit unserem Auftreten überraschen. Viele Ausstellungsbesuchende scheinen sich anhand der Kunstwerke ein Bild von uns zu machen und nicht wenige denken, wir seien Künstlerinnen…

MH: Was natürlich die Genderfrage aufgreift: Setzen sich Frauen mit anderen Themen als Männer auseinander? Beschäftigen sie sich mehr mit Ungerechtigkeiten, Sozialem und Umweltthemen? Vielleicht hat es auch mit unserer Bildsprache zu tun, die ja recht fein, poetisch und manchmal sogar ästhetisch ist (lacht). So werden plötzlich weibliche oder männliche Konnotationen entlarvt.

 

EV: Die Genderfrage taucht in eurem Werk

«Schwestern» aus dem Jahr 2018 auf. Hier habt

ihr das Wort «Brüder» in einem Bibelspruch

durch das Wort «Schwestern» ergänzt. Beschäftigt

euch das Thema in eurer aktuellen Arbeit?

 MH: Die Genderfrage hat mit Ungerechtigkeit zu tun. Mit Machtgefälle und mit Dominanz. Das sind zentrale Themenfelder für uns.


RH: Der Egoismus und die Dominanz des Menschen zeigen sich auch in unserem Umgang mit Tieren. Was uns da verblüfft, ist, dass der Mensch nicht dazu lernt: Warum ist Massentierhaltung immer noch gang und gäbe? Warum hält der Mensch Tiere in winzigen Käfigen, foltert und tötet sie, um billige Pelzkragen herzustellen? Warum werden nach wie vor Wildtiere auf riesigen Märkten gehandelt? Gerade während der jetzigen Pandemie müsste solches Tun reflektiert und schnell dagegen vorgegangen werden. Es ist frustrierend, wenn nur Symptome, nicht aber die Ursachen bekämpft werden. Jetzt wäre es an der Zeit, Systeme zu hinterfragen.

 

Die Zwillingsbrüder Markus und Reto Huber (* 1975 Münsterlingen) arbeiten seit 2015 unter dem Label huber.huber zusammen. Ihre Arbeit dreht sich um das ambivalente Verhältnis zwischen Zivilisation und Natur. huber.huber beschäftigen sich mit aktuellen sozialen Fragen. Hoffnung, Ängste, Glaube und das Versagen der Menschheit werden zu zentralen Themen.

Die vielschichtige konzeptionelle Arbeit von huber.huber wurde in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in der Schweiz und im Ausland gezeigt.

 

Der Balken in meinem Auge ist eine geteilte Rubrik von Coucou und Zollfreilager, dem Kulturmigrations-Observatorium der ZHdK. Die darin erscheinenden Interviews beleuchten die Kultur, ihre Praxen und Politiken als Frage der Multiperspektivität.

 

Das Telefon-Interview wurde von Eva Vögtli am 15. Januar 2021 zwischen Zofingen und Zürich geführt.

 

 

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