Draussen peitscht der erste Schneeregen des Jahres an die kleinen Fenster des Holzwagens, doch im Innern ist es angenehm warm. «Den habe ich aus einer Abrissbaustelle gerettet», erzählt Jürg Suter und zeigt auf den kleinen Kachelofen, der in seiner Küche steht. Trotz den engen Raumverhältnissen ist der Kochbereich liebevoll eingerichtet und mit allem ausgestattet, was Jürg im Alltag braucht. An der Unterseite eines Küchenregals hat Jürg Einmachgläser mit Mehl, Couscous und Reis befestigt; sie hängen über dem kleinen Lavabo mit Wassertank, daneben verschiedenes Geschirr und Gewürze. Auf dem Herd köchelt ein aromatisch duftender Linseneintopf. Der circa 15 Quadratmeter grosse Wohnbereich wird durch eine Holzwand vom etwa halb so grossen Schlafzimmer abgetrennt.
Jürgs ganzer Besitz befindet sich in diesem Wagen. «Von finanziellen Existenzängsten bin ich befreit», meint er und schöpft mir eine Portion des dampfenden Eintopfs. Der 56-Jährige hatte noch nie so geringe Ausgaben für seinen Lebensunterhalt. Das erlaubt ihm einen umso grosszügigeren Umgang mit Geld im Alltag. Am liebsten gibt er es aus, um Freund*innen einzuladen oder Konzerte im Insieme, der Villa Sträuli oder dem Gwölb zu besuchen.
Seit 37 Jahren arbeitet Jürg Suter als Landschaftsgärtner – noch immer beim gleichen Betrieb, in dem er als Jugendlicher seine Lehre gemacht hat. Zu seinem Leben gehört Beständigkeit ebenso dazu wie Wandel. Als seine vier Kinder allmählich auszogen, hat sich Jürg nach einer Wohnform für den neuen Lebensabschnitt umgeschaut. Vor gut drei Jahren hat er sich dann für einen Holzwagen entschieden. Daran fasziniert haben ihn vor allem die Mobilitätsmöglichkeit und die materielle Reduktion.
Den ersten Sommer verbrachte er auf dem Campingplatz in Gütighausen. «Ich fiel mit meinem Wohnwagen schon auf», erinnert sich Jürg. «Kinder waren oft sehr neugierig und liefen mehrmals an meinem Wagen vorbei, um einen Blick durch die offene Tür zu erhaschen», sagt Jürg und schmunzelt. Eine ähnliche Faszination übe der Wohnwagen auf seine Enkelkinder aus, die ihn oft besuchen.
«Am Anfang dachte ich, ich sei der Einzige, der sich für diesen Wohnstil entschieden hat», sagt Jürg. «Doch mit der Zeit habe ich gemerkt, dass viele verschiedene Menschen im Holzwagen leben.» Obwohl sich vermehrt Menschen für das Leben im Holzwagen interessieren, sei die rechtliche Lage ungenügend geklärt. So sei manchmal unklar, wo wie viele Wohnwagen stehen dürfen und zu welchen Bedingungen. Auch je nach Gemeinde gäbe es grosse Unterschiede, wodurch sich der Aufenthalt schwierig gestalten kann. Für die Zukunft wünscht sich Jürg eine grössere Akzeptanz für die Wohnform, die er gewählt hat.
Als der Campingplatz in Gütighausen im Winter schloss, machte sich Jürg auf die Suche nach einer neuen Bleibe. Er wurde auf die Holzwagen aufmerksam, die im Garten des Holzlabors standen, eine Wohngemeinschaft und Schreinerei in Thalheim, die auf den Bau von Holzwagen spezialisiert ist.
Zwischen den Fruchtbäumen des wilden Gartens trippeln freie Hühner und Gänse herum. Hier ist Jürg in einem lebendigen Umfeld. Manchmal essen die Bewohner*innen des Holzlabors und er gemeinsam zu Abend, legen im Garten Hand an oder planen Feste. Obwohl er sich im Holzlabor sehr wohl fühle und mehr und mehr zum festen Bestandteil des Projekts werde, bedeute es ihm nach wie vor viel, dass seine vier Wände mobil sind. «Es geht mir nicht darum, möglichst weit weg zu fahren, sondern einen Tapetenwechsel zu haben, dann, wenn ich ihn brauche.» Auch mit der Idee, einmal mit seinem Wagen länger zu verreisen, liebäugelt Jürg. Ein Traum aber eher für die ferne Zukunft, womöglich nach der Pension.