Trotz ihrer blassen rosa Fassade und der zentralen Lage gehen viele Passanten an der 1878 erbauten Villa vorüber, ohne sie überhaupt zu bemerken. Sie steht leicht zurückversetzt, hinter einer Zahnarztpraxis, eingerahmt vom Stadttheater und der Museumsstrasse. Auf dem gekiesten Parkplatz vor dem Haus stehen luxuriöse Sportwagen, die auf übliche Villenbewohner schliessen lassen. Nicht dazu passen will allerdings das bunte Innenleben der Villa Rosa.
Einst zählte sie, ebenso wie die Nachbarsvilla, zu den Anwesen der Unternehmer-Familie Sträuli. Es kursiert das Gerücht, dass ein Familienmitglied eines Tages tot unterm Magnolienbaum im Garten aufgefunden wurde und die Familie deshalb nichts mehr mit dem Haus zu tun haben wollte. Trotz vorteilhafter Lage wurde die Villa in den darauf folgenden Jahren wie ein heisser Stein herumgereicht. Lange geschah nichts, das Haus stand leer. Der heutige Eigentümer befürchtete, der verwilderte Garten könnte einladend auf die Randständigen wirken, die sich im angrenzenden Stadtpark treffen. So beschloss er, die Bäume und Büsche zu fällen, die das Anwesen zur Strasse hin schützten. Heute rauschen die Autos unmittelbar neben dem Garten vorbei. Bewohner Chico bedauert dieses überstürzte Unterfangen sehr, sagt allerdings, zu gewissen Zeiten sei der Verkehr so dicht, dass man sich die Geräusche gut als Wellengetöse vorstellen könne.
Der Traum in einer Villa zu wohnen, hat die zehn WG-Bewohnerinnen und Bewohner zusammen geführt. Es war Liebe auf den ersten Blick, als sie auf die Anzeige der Villa Rosa stiessen. Ursprünglich war sie als Gewerbefläche ausgeschrieben. Für herkömmliche Villeninteressenten, Privatpersonen wie Gewerbe, hätten allerdings vorerst grosszügige Investitionen getätigt werden müssen, die den Eigentümer reuten. Dass er das luxuriöse Anwesen an eine lebendige WG vergab, in der viele unter 30 Jahre alt sind und über kein geregeltes Einkommen verfügen, lässt sich mit Pragmatismus erklären. Sie forderten ein Minimum an Restaurationen.
In einem fünfjährigen Solidarvertrag – alle Bewohner sind gleichberechtigte Vertragspartner – überliess ihnen der Eigentümer die Villa. Diese Vertragsart hat seine Vor- und Nachteile meint Chico: Einerseits seien Entschlüsse manchmal schwerfällig, weil alles ausdiskutiert werden müsse, anderseits würden die Bewohnenden dem Eigentümer immer als geschlossene Einheit gegenüberstehen, was sie gewichtiger und weniger angreifbar mache. Allgemein haben sie nicht viel Kontakt mit dem Besitzer. Einzig auf den Parkplatz vor dem Haus erheben er und seine Familie noch ein Nutzungsrecht.
Die WG geniesst die Freiheiten in ihrer Oase. In etwas mehr als einem Jahr sind im Garten eine Lounge, eine Skateboard Rampe und ein kleines Gewächshaus entstanden und auch im Haus wird ständig gebastelt und renoviert. Der Eigentümer und auch der Heimatschutz haben sich bis anhin nicht darum gekümmert.
Da sich weder die Zahnarztpraxis noch das Stadttheater über nächtlichen Lärm beklagen würden, organisiert die Villa Rosa regelmässig WG-Partys und feiert ausgelassen bis in die tiefe Nacht. Genau darin sieht Chico auch zukünftig Potential. Den Aufwand sei es immer wert gewesen, und sie würden mit jeder Party geschickter und routinierter. Dabei möchte Chico den unkonventionellen Charakter beibehalten, da allzu offizielle Strukturen oftmals Bürokratie und Komplikationen mit sich ziehen würden. Auch in Zukunft sollen vor allem Rock’n’roll Partys in der Villa Rosa stattfinden, da diese in der Winterthurer Clubszene viel zu kurz kämen.
Zwar sind zurzeit Abriss- und Privatisierungsdebatten betreffend Stadttheater abgeklungen, trotzdem steht die Villa auf prekärem Boden und macht die Zukunft der Villa Rosa ungewiss. Am liebsten würde Chico die Villa kaufen oder zumindest einen Eigentümer wissen, der die WG-Nutzung schätzt und unterstützt.