Daheim an der Ida-Sträuli-Strasse

Daheim an der Ida-Sträuli-Strasse

Sieben Männer mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen wohnen in der Lebensgemeinschaft Chupferhammer in Winterthur Hegi. Eine WG für ein selbstbestimmtes Leben.

Es ist ein sommerlich-warmer Mittwochabend und der Platz vor dem Mehrgenerationenhaus Giesserei in Neuhegi ist belebt. An Tischen sitzen Leute beim Feierabendbier, auf der grossen Wiese davor spielen Kinder. Vor der Nummer 65 plaudern angeregt ein Mann mit umgebundener Schürze, ein Jugendlicher und eine ältere Dame. Ein buntes Trüppchen.

In diese Umgebung eingebettet ist die Lebensgemeinschaft Ida-Sträuli-Strasse des Vereins Chupferhammer. Die Tür öffnet ein etwa 30-jähriger Mann mit Bart und auffälliger Haarpalme auf dem Kopf, der sich als Peter vorstellt. Lässig schlurft er voran in den Essbereich. Es ist sechs Uhr abends und einige der Bewohner sitzen bereits beim Essen. Peter steuert den grössten Tisch im Raum an, er mag die Gesellschaft. Der Mann mit der Schürze nimmt weiter hinten an einem kleinen Tisch Platz. Er heisst Hugo, ist jetzt aber nicht mehr zu Gesprächen aufgelegt. Peter dagegen ist in Plauderlaune: «Ich möchte Banking studieren, Millionär werden und viele Frauen haben», erzählt er. Ein Traum, wie ihn wohl viele haben.

 

In der Winterthurer Lebensgemeinschaft Ida-Sträuli-Strasse, die 2016 gegründet wurde, leben sieben Männer zwischen 17 und 46 Jahren mit einer kognitiven oder psychischen Beeinträchtigung. Sie benötigen Unterstützung im Alltag und werden täglich von Betreuungspersonen begleitet. «Wir assistieren den Bewohnern, damit sie ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können», sagt Monica Lonoce,

Co-Leiterin der Winterthurer Wohneinheit.

Dazu zählt die Unterstützung in alltäglichen Dingen, wie die Entscheidung, wann sie morgens aufstehen, kochen und putzen oder einen Ausflug in die Stadt organisieren möchten. «Das Zusammenleben im Mehrgenerationenhaus Giesserei ist für alle eine grosse Bereicherung», sagt Monica Lonoce. «Die Bewohner der Lebensgemeinschaft nehmen an den Aktivitäten der Giesserei teil und leisten – wie alle Parteien im Mehrgenerationenhaus – ihren Beitrag zur Gemeinschaft, indem sie zum Beispiel das Areal pflegen, aufräumen oder wischen.»

Neben der Arbeit im Haushalt oder auf dem Areal verkaufen einige Bewohner in der «Fächerei» in Zürich, einem Angebot des Vereins Chupferhammer, selbstgemachte Tomatensaucen, Konfi oder im dazugehörigen Atelier gestaltete Postkarten.

 

Während der wöchentlichen Bewohnersitzung besprechen die Männer, welche Regeln die Gemeinschaft für das Zusammenleben braucht. Wie sie diese gestalten möchten, entscheiden die Bewohner; das ist allen Beteiligten wichtig und keine Selbstverständlichkeit. Peter erzählt von einer potenziellen neuen Mitbewohnerin, die sich einen vorgegebenen Tagesablauf wünschte. «Aber hier musst du selber entscheiden», sagt er. Die Betreuungspersonen helfen, Kompromisse zu finden und setzen die Entscheidungen mit den Bewohnenden zusammen um. Dabei könne es auch mal Konflikte geben, sagt Monica Lonoce.

 

Nach dem Essen sitzt ein Grüppchen im Wohnzimmer und spricht über seine Hobbies. Peter geht gerne an Goa-Partys, sein Mitbewohner Emil filmt und schneidet Videos, die er an Kinoabenden vorführt. Sein nächstes Sujet? Das Jodelfest in Wülflingen! Und Karl interessiert sich für Kultur und besucht die Theater und Museen der Stadt. Er hält ein Mikrofon in der Hand und fragt, ob er eine kurze Rede halten dürfe. «Vielen Dank für Ihr zahlreiches Erscheinen», beginnt er und reiht dann gekonnt Sätze aneinander, welche er von bekannten Persönlichkeiten gehört hat – sein zweites Steckenpferd ist nämlich die Politik.

Nun setzt sich auch Hugo dazu. Er wohne erst seit Februar in der Lebensgemeinschaft. Und in einem kaum zu stoppenden Redeschwall erzählt der 38-Jährige von seinem Leben an seinem alten Wohnort am Walensee. «Ich hatte am Anfang grosses Heimweh», sagt er. Aber nun gefalle es ihm hier gut. Potenzielle neue Bewohner*innen besuchen die WG jeweils ein paar Tage zur Probe. Da habe er gar nicht mehr gehen wollen. Mit seinem Mitbewohner Peter ist er sich einig: «Es ist wie eine zweite Familie.»

 

 

Die Serie «Wohnen in Winterthur» erscheint alle zwei Monate und beschäftigt sich mit den Wohnformen, die in der Stadt und der Region zu finden sind.

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