Die Schildkröte vom Eulachpark

Die Schildkröte vom Eulachpark

Bei einem Spaziergang am Walensee im Herbst 1978 entdeckte Anna-Maria Bauer ein unversehrtes Gehäuse einer Schildkröte, das etwas in ihr auslöste.

Seither ist das urzeitliche Reptil ihr Totemtier und Grundlage all ihrer Arbeiten. Die Kunstwerke der Zürcher Künstlerin kennzeichnen sich durch Ordnung, Rhythmus und Struktur, wobei ihr Ausgangspunkt immer der Schildkrötenpanzer ist. Obwohl man denken könnte, dass die jahrzehntelange Beschäftigung mit einem Tier irgendwann verleiden würde, entdeckt Bauer immer wieder etwas Neues. Sie analysiert die Konturen des Hornpanzers, die Wachstumsrillen des Schildpatts oder die darunter liegenden Knochenrisse und konstruiert mit diesen Untersuchungen ihre Kunstwerke. Nebst der äusseren Erscheinung befasst sie sich auch mit den Mythen und symbolischen wie auch rituellen Funktionen der Schildkröte.

 

Eines ihrer Kunstwerke befindet sich im Eulachpark und trägt den Namen «Geochelone vitodurensis». «Geochelone», der lateinische Name für die Gattung der Landschildkröten, gibt den Betrachtenden den ersten Hinweis, um was es sich hier handelt. Eine Besonderheit: Das Werk ist nur zu sehen, wenn man direkt davor oder darüber steht. Es handelt sich um eine Stahlintarsie, eine Einlegearbeit, die in der Parkwiese versetzt ist und die Struktur eines Schildkrötenpanzers wiedergibt. Die kleinen Stahlkanäle sind mit Wasser aufgefüllt, in denen sich Blütenstaub im Frühling, gemähtes Gras im Sommer, Laub im Herbst und Eis im Winter ansammeln. Die Platzierung des Werks ist ein Gruss an die Vergangenheit Winterthurs: Die Installation aus Stahl erinnert nämlich an die Giessereihalle des Maschinenbauunternehmens Sulzer, welche früher an dieser Stelle stand.

 

«Erdgebundenheit, Langsamkeit, Beharrlichkeit, Zeit, ihr Gehäuse mit den wunderbaren Strukturen», antwortete mir die Künstlerin, als ich sie fragte, weshalb die Schildkröte sie so fasziniert. Nebst den Stahlfurchen in Form eines Schildkrötenpanzers ist auch die Erdgebundenheit im Werk durch die Intarsie eingeschrieben. Das über sechs Tonnen schwere Werk aus Stahl überdauert jede Jahreszeit und zeugt so von ebenso grosser Beharrlichkeit wie die Schildkröte. Bauer hat dementsprechend nicht nur den Panzer ihrer geliebten Schildkröte in das Werk integriert, sondern auch ihre Eigenschaften.

Chelsea Angel Neuweiler studiert Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Zürich.

Jonas Reolon ist Fotograf und Kameramann aus Winterthur.

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Lebendiges Zimmer
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