Das Zitat ist mir erstmals im Rahmen meines Germanistik-Studiums begegnet. Zu verorten ist es in der literarischen Strömung der Empfindsamkeit. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, in der Hochphase des Sturm und Drang, wurde die Zerrissenheit des Menschen von Philosophen und Dichtern stark thematisiert. Emotionen und künstlerische Freiheit standen im Mittelpunkt und der Zwiespalt zwischen Gefühl und Verstand war in der Literatur wie in der Philosophie stark vertreten.
Wurde diese Zerrissenheit im 18. Jahrhundert vor allem in Texten behandelt, stellten sie die beiden Winterthurer Giesser Michael Keller und Hans-Karl Angele Ende des 20. Jahrhunderts anhand einer Guss-Skulptur dar. Mit ihr steht diese von Schlegel besagte Lücke wortwörtlich vor uns: Die Figur ist senkrecht in der Mitte halbiert, wobei die beiden Hälften mit einem Abstand zueinanderstehen und nur durch fünf horizontale Balken miteinander verbunden sind. Das Werk trägt den passenden Namen «Der zerrissene Mensch».
Interessant ist, dass die Lücke in der Körpermitte nur von vorne beziehungsweise hinten sichtbar ist. Von der Seite her betrachtet wirkt die stählerne Figur komplett und stark, ihre Statik lässt sie gar roboterähnlich erscheinen. Doch wird sie frontal oder rückseitig angeschaut, offenbart sich ihr hohles Inneres. Der Zwiespalt – oder diese innere Zerrissenheit – wird nach aussen auf den Körper getragen.
Die Skulptur erweckt mit ihrer zerrissenen Leere einen trostlosen und tauben Eindruck auf mich, sodass ich beinahe Mitleid für sie empfinde. Beinahe, da mir bewusst ist, dass es sich nicht um ein lebendiges Wesen handelt, sondern um ein Kunstwerk aus Stahl. Gleichzeitig sind die portraitierten Gefühle der Skulptur derart einnehmend, dass ich mich beim Betrachten ein wenig verlieren kann und ich vergesse, dass es sich eben nicht um ein lebendiges Wesen handelt. Eine Eigenschaft von mir, an der ich mich oft festhalte, ist die Suche nach dem Positiven in Dingen. Diese Skulptur jedoch trägt eine Melancholie in sich, die ich hier nicht ignorieren oder schön sprechen – beziehungsweise schreiben – wollte.
Chelsea Angel Neuweiler studiert Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Zürich.
Jonas Reolon ist Fotograf und Kameramann aus Winterthur.