Es war ein eisiger Tag, eingepackt und trotzdem frierend lief ich um das Werk, umgeben von Arbeiter*innen, die beim Eindunkeln auf dem Weg nach Hause waren. «Kalt, monoton, traurig» tippte ich in mein Handy, als ich mich selbst auf den Heimweg machte. Unter einer Skulptur namens «Figurentanz» hatte ich mir etwas anderes vorgestellt, etwas Warmes, Lebendiges und Fröhliches.
Schang Hutter ist für seine aussagekräftige Kunst bekannt. Sein Schaffen hat oftmals einen seriösen Unterton, der davon herrührt, dass der Künstler durch den Zweiten Weltkrieg und die Opfer der Konzentrationslager tief erschüttert wurde. Inspiriert wurde der Schweizer Bildhauer jedoch nicht nur von geschichtlichen Ereignissen, sondern auch von Künstlern wie Alberto Giacometti. Giacomettis langgezogene Figuren erkenne ich im «Figurentanz» wieder, auch wenn Hutter sich ab den 1970er-Jahren von der statischen Strenge abwandte und Körpersprache und Bewegung in seinen Skulpturen aufgriff. So entstanden in den 1990er-Jahren mehrere Arbeiten zum Thema «Figurentanz», die sich nun mitunter in Hannover und Berlin befinden.
Da Hutter für seine Skulpturen oft Zeichnungen im Vorhinein anfertigte, sah ich mir einige davon an in der Hoffnung, durch sie mehr im Stahlkonstrukt beim Deutweg erkennen zu können. Mir fiel auf, dass gleichsam geschwungene Bogen die Arme widerspiegeln, dünne Linien mit einem abgeknickten Ende die Beine waren und die Köpfe eine Art Antenne aufweisen. Mit dieser Erkenntnis suchte ich nach den Tanzenden im Werk – und stiess insgesamt auf acht kreuz und quer verteilte Figuren, vier auf der linken und vier auf der rechten Seite. Nach der Zuordnung der Figuren würde ich bezüglich des Tanzstils definitiv in Richtung Breakdance gehen statt Standard. Obwohl ein passionierter Tango vielleicht noch vorstellbar wäre.
Dieses bewegte – und jetzt doch nicht mehr so traurig wirkende – Werk unterscheidet sich von seiner monotonen Umgebung. Zuerst stand ich diesem Kontrast skeptisch gegenüber, doch nach längerer Auseinandersetzung lockert die Bewegung und Kreativität des stählernen Werks das Industriegelände auf – ohne dabei aufgrund des industriellen Materials aus der Reihe zu tanzen.
Chelsea Angel Neuweiler studiert Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Zürich.
Jonas Reolon ist Fotograf und Kameramann aus Winterthur.