Ich lachte. «Nöd?», fragte er nach.
Das eiserne Kunstwerk, auf dem wir uns befanden, schneidet nicht die Wellen des Atlantischen Ozeans, sondern hängt über dem Pausenplatz des Schulhauses Büelwiesen – und erinnert wohl einige der Romantiker*innen unter uns an die berühmte Schiffsszene aus dem Hollywood-Klassiker. Bei mir hat das Betreten des kleinen Aussichtspunkts keine Film-Flashbacks ausgelöst, doch wenn ich meine romantische Seite ausgrabe, kommt mir beim «Stadtobservatorium» am ehesten die ikonische Balkonszene von Romeo und Julia in den Sinn.
Der Schweizer Bildhauer Vincenzo Baviera schuf ab Mitte der 1980er-Jahre eine Reihe von Stadtobservatorien. Der Name des Kunstwerks deutet auf seinen Zweck hin: Mit Blick auf den Basketballplatz und die grosse Wiese gibt es für die Sekundarschüler*innen von hier aus einiges zu beobachten. Der Künstler beschreibt sich selbst als «Arbeiter im Raum». Aus einer Baumeister- und Architekturfamilie stammend bereite es ihm viel Freude, Menschen anhand seiner Werke miteinander zu verbinden. In der begehbaren Installation über dem Schulhof kann gemeinsam die Situation auf dem Pausenplatz abgecheckt, Neues entdeckt oder sogar der einen oder anderen Person nachspioniert werden. Dabei bleibt nicht ausgeschlossen, dass der vordere Teil des Werks auch zum Balkon werden kann, an dem sich zwei Sekschüler*innen ihre Liebe gestehen. Romeo und Julia waren ja bekanntermassen auch erst 13 und 14 und Baviera hätte mit seiner Absicht, Menschen zusammenzubringen, ebenfalls ins Schwarze getroffen.
Das Material des Werks hingegen bildet einen Gegenpol zu seinen gemeinschaftsfördernden Eigenschaften: Das rostige Eisengebilde wirkt auf den ersten Blick nicht einladend. Erst wenn man näher herantritt und die hellgelbe Innenseite sowie die schmale Treppe nach oben sieht, wird der Reiz geweckt, die Stufen zu erklimmen. Der schmale Gang ist jedoch nicht für Menschen mit Klaustrophobie geschaffen. Während Kinder und Jugendliche allenfalls zu zweit das Stadtobservatorium betreten können, ist das Werk für Erwachsene eher einengend. Doch oben an der Treppe angekommen, verschwinden die Wände um den Oberkörper und man fühlt sich wieder freier: Man kann den Blick schweifen lassen und die Arme ausbreiten – möglicherweise ein bisschen wie Jack und Rose.
Chelsea Angel Neuweiler studiert Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Zürich.
Jonas Reolon ist Fotograf und Kameramann aus Winterthur.