Dies ist bei der Bronzefrau vor dem Kunst Museum Winterthur anders: Hier ist die Frau zusammengeklappt, ihr Gesicht liegt auf dem Boden und die Arme streckt sie nach hinten. Sie präsentiert sich nicht den Betrachter*innen, sondern entzieht sich ihren Blicken. So nähert sich Thomas Schütte mit seiner bizarren Bronzefigur dem Seltsamen und Ungewöhnlichen.
Der Künstler begann sich Mitte der 1990er-Jahre mit plastisch modellierten, gegossenen Frauenfiguren zu beschäftigen – so entstand «Bronzefrau Nr. 3» als Teil einer Serie. Dabei besann er sich auf Figurenplastiker des 20. Jahrhunderts wie Picasso und Matisse, die sich immer wieder mit dem Frauenakt auseinandergesetzt hatten. Während Picasso mit geometrischen Formen arbeitete und Matisse sich mit vereinfachter Malerei und expressiven Farben versuchte, näherte sich Schütte in diesem Werk mit naturalistischem Stil der Groteske. Schüttes Absicht war es, auf das Motiv des Aktes zurückzugreifen und die bis in das frühe 20. Jahrhundert verbreitete Figurenwelt wieder zum Leben zu erwecken.
Auffallend an diesem Bronzeakt ist jedoch nicht nur die eigenartige Körperhaltung, sondern auch das Auslassen der Betonung weiblicher Geschlechtsmerkmale. Der Künstler umgeht die konventionelle Fixation auf den weiblichen Körper und seine Darstellung als begehrenswert und einladend. Bei der Figur handelt es sich um eine Frau – dies wissen wir, weil es uns der Titel des Werks verrät –, aber der Künstler nutzt ihren Körper nicht aus. Es findet keine Idealisierung ihres Körpers oder Gesichts statt. Er verzichtet auf die Sexualisierung. Zusätzlich grenzt die Figur die Betrachter*innen anhand ihrer abweisenden Körperhaltung aus: Sie funktioniert eigenständig, sie braucht – und will – kein Publikum.
Immer wieder gibt es Künstler*innen, die der Problematik des Frauenakts auf den Grund gehen wollen und sich gegen sexualisierte Frauenakte wehren. Zu dieser Aktion zähle ich auch Schüttes Werk: Die Figur verrenkt sich, doch keineswegs auf eine aufreizende Art und Weise. Sie zeigt, dass der Frauenakt in der Kunst ohne erotische Darstellung vorkommen kann – auch wenn dafür der Schritt in Richtung Groteske eingeschlagen werden muss.
Chelsea Angel Neuweiler studiert Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Zürich.
Jonas Reolon ist Fotograf und Kameramann aus Winterthur.